Überall nur liebe Menschen. Und von denen, erzähl ich am liebsten. Denn die Narrative, dass wir Angst voreinander haben sollten, stimmt in 99,9% der Fälle nicht. Und hier folgt ein weiterer Beweis dafür.
In meiner Hängematte liegend, werde ich vom unaufhörlichen Rauschen des Sperrwerkes aus meinen Träumen gezogen. Zunächst freue ich mich im sandigen Flussbett aufzuwachen, doch dann erinnere ich mich an die Wasserqualität. Braune Suppe. Wie alle Gewässer, an denen ich bisher vorbeigekommen bin. Außer dem Senftenberger See und der neuen Donau.
Ich fühle mich klebrig und stinkig und wünsche mir nichts mehr als einen klaren See, in dem ich Staub, Schweiß und Schmutz von Körper und Seele waschen kann. Ehrlich gesagt bin ich ja fest davon ausgegangen, mich im Land der Berge kaum noch vor lupenreinen Bergseen retten zu können, doch was das angeht, waren Niederösterreich und die Steiermark ein absoluter Griff ins Klo. Oder in den Fischteich… wie man’s sieht. Könnte natürlich auch daran liegen, dass es hier kaum Berge gibt. Aber das ist nur so eine Vermutung. Die wesentliche Frage in meinem Kopf: Wann bin ich bloß am Mittelmeer?
In dieser Grummel-Laune fahre ich los. Nur komme ich nicht weit, bevor sie sich völlig wandelt. Eigentlich passiert garnicht wirklich etwas. Andere würden sagen, dass mir das schönste auf der Welt wiederfährt. Ich weiß es nicht genau… was ich weiß, ist dass mir ein kleines Kind schüchtern zulächelt und sich danach schnell hinter dem Rock seiner Mutter versteckt. Und dass mir dieses einfache Lächeln für den Rest des Tages gute Laune schenkt. Und den Glauben daran, dass ich mein klares Wasser schon noch finden werde.
Klares Wasser. Ich träume von azurblauen Bergseen, adriatischen Buchten und griechischen Stränden. Währenddessen zieht die Steiermark an mir vorbei und ihr Antlitz wandelt sich von Grund auf. Von einer völlig zersiedelten und überdimensionierten Mais-Monokultur zu einem Agrar-Paradies, das ich in Zentral-Europa nicht für möglich gehalten hätte.
Mein Weg schlängelt sich durch verwunschene Hügel, deren moosigen Wälder von geschwungenen Feldern abgelöst werden. Auch hier umgibt mich riesiger Mais, daneben wachsen aber lila Flieder und rote Äpfel, deren Düfte zwischen den Hängen liegen. Zwischendrin entdecke ich einige Weinberge, Pflaumenhaine und Gemüse-Acker. Am auffälligsten aber sind die Kürbisfelder. Orange getupft, wenn sie noch einzeln an den Ranken wachsen, aufgeschichtet in langen Reihen oder geschreddert und auf dem Feld verteilt. Die Ernte scheint in vollem Gang zu sein. Und wo mein Auge auch hinfällt, sehe ich Schilder, die groß das steirische Kernöl anpreisen.
Noch weiß ich nicht, wie unfassbar lecker es im Salat schmeckt. Doch bald schon, werde ich es erfahren.
Über all der Schönheit und zwischen all den Düften vergesse ich beinahe meine Drang mich zu waschen. Doch als der Abend näher rückt und ich beginne, mich langsam nach einem Schlafplatz umzusehen, ist sauberes Wasser wieder die erste Priorität. Finden tue ich es nicht. Auf meiner Linken nur die braun vor sich hinrauschende Muhr, auf meiner Rechten gelegentlich ein stinkiger Fisch-Teich.
Doch dann habe ich Glück... Wiedermal.
Denn gerade als ich in einem Bistro nach einer Badestelle frage, spricht mich ein Ehepaar an, das mit dem Enkelkind an einem hölzernen Picknick-Tisch sitzt. Als erstes fällt mir Thea‘s Lächeln auf… vielleicht ein Hinweis.
Sie fragen mich wo ich herkomme und wo ich hinwill. Staunen nicht schlecht über meine Reise und spendieren mir einen Sprung ins benachbarte Naturfreibad, als ich von meinem Bedürfnis nach klarem Wasser erzähle. Denn auch wenn der See nicht grad sauber ist, gibt es dort Duschen. Nicht, dass das früher nötig gewesen wäre, erzählt Sigrid: In ihrer Kindheit hat sie neben Flusskrebsen in den glasklaren Bächen der Steier gebadet. Braune Gewässer kannte da niemand. Doch mit den großen Felder und der kommerziellen Landwirtschaft verschlechterte sich auch die Wasserqualität. Klares Wasser gibt es nichtmehr.
Frisch gewaschen, denke ich mir, dass ich auch stumpf nach einem Schlafplatz fragen kann, wenn wir ohnehin schon Knie-tief in einem Gespräch über Klimawandel, Lebensmodelle und Kindererziehung stecken. Nicht ohne dass Sigrid schon Andeutungen in Richtung eines weichen Bettes gemacht hätte, versteht sich. Also erkläre ich es so: „Sigrid, es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder ich fahre weiter und finde mir einen Schlafplatz oder ich übernachte heute bei euch.“
Sie überlegt kurz, dann stimmt sie zu. Rupert wird eher vor vollendete Tatsachen gestellt, als dass er gefragt wird. Aber stören tut es ihn ohnehin nicht.
Als wir nach einer kurzen Kolonnen-Fahrt beim Haus ankommen, steht Rita – Theas Mama - schon in der Tür. Kurz guckt sie etwas skeptisch über den blond-schnuppierten Radfahrer im Schlepptau, dann ist sie genauso offen und herzlich wie ihre Mutter und zeigt mir erstmal den Garten. Stauden, Farne und Obstbäume säumen den Weg zum Hühnerstall, hinter dem das Gemüsebeet liegt. Hier finden wir Tomaten, Paprika und reichlich Beeren. Nur war der Tomatenverbrauch die letzten Tage höher als sie nachwachsen konnten und so stibitzen wir ein paar aus Ur-Omas Garten.
Ebenfalls ein kleines Paradies etwas außerhalb von Bad Radkersburg. Eine idyllische Stadt, durch die die slowenisch-österreichische Grenze verläuft. Aber die merkt man kaum, denn die Menschen fühlen sich hier viel mehr der Steier verbunden als mit sonst irgendwas. Und zumindest bis der eiserne Vorhang zugezogen wurde, herrschte grenzenlose Freizügigkeit.
Dann veränderte sich alles. Für ein paar Jahrzehnte jedenfalls. Bis Jugoslawien zerfiel und der 10-tägige Slowenien Krieg auch an Bad Radkersburg nicht spurlos vorbeiging. Das Scharmützel um einen eingekesselten Panzer, hörte man auch noch in Ur-Omas Garten. Doch zum Glück kam Slowenien noch recht glimpflich davon und als die Serben ihre Truppen auf die Kroaten konzentrieren mussten, war der Spuk wieder vorbei. Sodass auch im familiären Garten wieder Ruhe einkehren konnte. Lediglich ein paar Einschusslöcher in der Kirche und Stadtmauer Zeugen noch vom Krieg, der kaum mehr als 30 Jahre her ist. In den Köpfen der Menschen, hat er größere Spuren hinterlassen. Aber dazu mehr, an anderer Stelle. Erstmal zurück zu den Tomaten.
Denn die von Thea’s Ur-Oma sind rot und saftig. Perfekt für den Salat, der mich erwartet. Und in dem das Kern-Öl sein einzigartiges Aroma entfalten kann. Zu Abend essen wir in der teils traditionell, teils ganz individuell eingerichteten Küche. Holzmöbel werden von zahlreichen Gemälden umgeben. Jeder Raum sein eigenes Thema. Mein Schlafzimmer Paris, das Treppenhaus Wien und die Küche wird von chinesischen Malereien von Tiger-jagenden Elefantenreitern geprägt. Daneben hängt eine nepalesische Kukri an der Wand. Ein Scherper-Messer, das wie die perfekte Mischung aus Machete, Schwert und Dolch aussieht. Alles Andenken an die vielen Reisen, die Rupert und Sigrid unternommen haben. Damals in den 80ern, als jede Reise ein Abenteuer war. Auch wenn man sich nicht vornahm, nichts für Übernachtungen auszugeben und ganz normal mit Flugzeug und Bus reiste, statt mit dem Fahrrad durch die Welt zu fahren. Durch Nepal, Hongkong und Tibet sind die beiden gekommen. In einer Zeit, in der Lhasa menschenleer war und sie einfach aufs Dach des größten Heiligtum und durch den Potala-Palast spazieren konnten. Als in Kathmandu der erste Supermarkt eröffnet wurde und Hongkong noch kaum Wolkenkratzer kannte.
Nichts war globalisiert.
Nur die größten Städte der reichsten Länder.
Und die Kinder freuten sich über jede Kleinigkeit, die die Reisenden aus der Ferne mitbrachten.
Eigentlich hätte ich mir denken können, dass sie selbst Globetrotter sind. Denn so viel Gastfreundschaft hat ihren Ursprung meist in eigener Erfahrung.
Zum Abschied am nächsten Morgen bekomme ich ein ordentliches Fresspaket geschnürt. Frischer Sterz, Äpfel, Zucchini und Paprika.
So werde ich auch Tage später in Slowenien noch an Sie denken.
Danke für alles.
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