Aktuell arbeite ich neben meinem Blog noch an einem anderen Projekt, in dem ich gelegentlich meine Liebe zum Schreiben ausleben kann. Dieser Text in ein Ergebnis davon. Und so viel Spaß es auch macht, so viel Zeit nimmt es auch in Anspruch. Womit wir bei dem Grund sind, weshalb es entgegen meiner vorigen Ankündigung nicht um Utopien geht, sondern um den Klimawandel.
Dieser Text ist außerdem ein Experiment. Es ist meine erste fiktive Geschichte, das erste Mal, dass ich nicht selbst Protagonist meiner Schrift bin. Denn das ist diesmal Taavi - ein estnischer Junge, dessen Leben wohl auch das einzig ausgedachte an diesem Artikel ist. Alle beschriebenen Umstände sind dagegen vielfach belegt - die Quellen habe ich verlinkt.
Über Feedback freue ich mich wie immer sehr - vor allem dahingehend, ob der Text und sein Inhalt besonders greifbar für euch ist oder eben nur ein weiterer Text über den Klimawandel.
Es ist Mittag, die Sonne brennt vom Himmel und Taavi sitzt allein am Strand. Die Schule hat ihn und seine Freunde nach Hause geschickt – im dünnen Gemäuer ist es zu heiß zum Lernen.
Doch nach Hause kann er nicht - es ist niemand da. Seit sein Vater kaum noch Fische fängt, arbeitet seine Mutter in einer Fabrik außerhalb von Tallinn. Lieber würde sie im Restaurant der Tante helfen, doch ohne die Touristen aus Deutschland lohnt sich das Geschäft kaum noch. Sie sagen der Krieg gegen die Ukraine würde sie verschrecken.
Im Wasser vor ihm treiben Algenteppiche, die er zu hassen gelernt hat. Nicht nur weil er nicht baden gehen kann, nein auch weil sein Vater sie verflucht. Früher waren sie seltener, dünner, kleiner und vereinzelter – alles in allem kein Problem. Das sagt auch sein Opa. Heute tragen sie neben 100 anderen Dingen zum Sterben der Fische bei (1, 2).
So genau weiß Taavi es nicht, doch während er dort am Strand sitzt wird in der Universität im Stadtzentrum genau an diesen Themen geforscht (3). An den 100 Dingen, die zum Sterben der Fische führen. An der Zerstörung von Lebensräumen, an Lärmemissionen, der Ostseeschifffahrt und an Überfischung. Vor allem aber an den wachsenden Todeszonen der Ostsee. Daran, dass sie eins der am stärksten eutrophierten Meere der Welt ist. Dass also ein Überangebot an Nährstoffen wie Phosphor besteht, die durch Überdüngung von den Feldern ins Meer gelangen und langfristig zum Sauerstoffverlust führen (4). Algen sind das verbindende Element. Sie brauchen Phosphor. Wachsen im warmen Sonnenlicht, sinken hinab und werden zersetzt. Tonnen über Tonnen an Algen, ihr Wachstum angetrieben durch unseren Dünger, sinken sie hinab und lassen zahllose Mikroorganismen enorme Mengen an Sauerstoff für ihre Zersetzung verschlingen. Ein System, aus der Balance gebracht.
Zurück bleibt eine nasse Wüste, aus der jedes Leben flieht.
Verstärkt wird dieser Effekt noch durch den Klimawandel. Genau damit sollte Taavi sich heute in der Schule beschäftigen. Erst erzählt seine Lehrerin von der wärmer werdenden Welt, dann müssen sie wegen der unerträglichen Hitze das Klassenzimmer verlassen.
Drei Szenarien soll es für seine Zukunft geben. 4 Grad und wärmer, 2,6 Grad und 2 Grad. Für Taavi klingt das nicht viel, wenn er bei 34 Grad im Schatten sitzt und auf eine kühlende Brise hofft. Doch was genau dahinter steckt, wollte seine Lehrerin ihm heute erklären. Im Gegensatz zu Taavi darf sie nicht nach Hause gehen. Sie sitzt im Lehrerzimmer und guckt ihre Unterlagen durch.
4 Grad – 2,6 Grad – 2 Grad – Wie so oft, überfliegt sie ihre Notizen. So richtig fassen, kann sie sie nicht.
Ab 4 Grad droht die absolute Katastrophe:
„Business as usual“ und keine Klimapolitik führen zu diesem Szenario. Das vollständige Abschmelzen von Grönlands Gletschern ist unaufhaltbar und auch große Teile der Antarktis schmelzen dahin
(5). Die Folge: ein langfristiger
Meeresspiegelanstieg von 50 Metern – nur durch das Eis der Ost-Antarktis. Bis zum Jahr 2100 sind es „nur“ 140 bis 200 cm – auch in der Ostsee (6). Weltweit
werden hunderte Städte überschwemmt – die es sich leisten können bauen Deiche, hinter denen der Alltag weiter vor sich hin plätschern kann. Kiel, Helsinki, Danzig und Stockholm aber auch
Nordseestädte wie Hamburg gehören dazu. Welche Teile von Tallinn gerettet werden können bleibt noch abzuwarten. Immerhin liegt ein großer Teil der Stadt um die 9 Meter über dem Meeresspiegel.
Aufs Jahrtausend gerechnet, bringt dieser Vorsprung wenig. Für Taavi bleibt zu hoffen, dass wenigstens die Kernkraftwerke im Meerbusen ausreichend eingedeicht werden, wenn sie versinken, hat sich
das mit der Fischerei ohnehin erledigt. Doch auch außerhalb der Meere wird es heiß. Im Schnitt sogar doppelt so heiß wie in den Küstenzonen. Wälder sterben. Knapp die Hälfte der Ackerflächen wird
von Dürre bedroht und extreme Hitzewellen zehren an allem, was lebt. Die Folgen sind Hungersnöte und ein zu großen Teilen unbewohnbarer Planet. Die Weltbevölkerung schrumpft um Milliarden und
jede sechste Art ist vom Aussterben bedroht – das alles bis zum Ende des Jahrhunderts (7).
Für Taavi stehen die Chancen schlecht. Ob er zu einem der vielen Todesopfer zählt ist unklar – als Europäer hat er eine bessere Ausgangsposition, als Menschen im globalen Süden. Der Fischerei-Tradition seiner Familie wird er nicht nachgehen können – die Ostsee gibt längst keinen Fisch mehr her und auch sonst lebt kaum noch etwas darin.
2,6 Grad – das zweite Szenario - der Weg auf dem wir uns befinden, wenn alle Wort halten.
Auch wenn wir alle bisher geplanten Klimaschutzmaßnahmen einhalten, werden etwa 600 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Bis zum Ende des Jahrhunderts steigt der Ostsee-Spiegel um 47
cm. Tödliche Hitzewellen, die wie 2003 bis zu 70.000 Leben fordern, treten alle vier Jahre auf (8). Vor allem ältere und kranke Menschen sterben – zu Hause, wie sich viele
ihren Tot wünschen – und doch ganz anders. Auch in diesem Szenario sind Milliarden von Menschen von Hungersnot und Dürren betroffen. Ihre Auswirkungen mögen global gesehen weniger katastrophal
wirken als bei 4 Grad, doch für die Einzelschicksale macht es kaum einen Unterschied. Das Abschmelzen der Ost-Antarktis kann voraussichtlich verhindert werden, doch diverse Kipppunkte des
Weltklimas können auch dieses Szenario völlig aus den Rudern laufen lassen (5).
Wie es Taavi geht, lässt sich genauso schwer vorhersehen. Vielleicht arbeitet er wie seine Mutter in einer Fabrik am Stadtrand. Vielleicht ist er nach Westeuropa
ausgewandert, um vom Reichtum des EU-Zentrums zu profitieren. Dass er zur See fährt und Fische fängt ist so gut wie ausgeschlossen. Vor allem auf der Ostsee.
Zum Vergleich: 2,4 Grad hat sich unser Randmeer allein bis zum heutigen Tag erwärmt – und das seit 1982 (9). Die Ostsee ist ein Mikrokosmos, dessen Situation zeigt, was Kinder wie Taavi global erwartet, wenn wir nicht MEHR leisten, als wir uns bis jetzt vorgenommen haben.
Bleibt noch das letzte Szenario:
2,0 Grad – Keine Utopie aber eine Perspektive.
Es ist das Minimalziel des Pariser Klimaschutzabkommens. Minimalziel bedeutet in diesem Fall die maximal erträgliche Temperatursteigerung. Denn auch bei zwei Grad, wird es ungemütlich.
Menschen haben in vielen Teilen der Welt gelernt mit einer steigenden Anzahl an heißen Tagen umzugehen. Der Meeresspiegel steigt um mindestens 26 Zentimeter (10). Auch extreme
Wetterereignisse werden noch häufiger als bisher.
Trotzdem ist es eine kollektive Leistung der Menschheit. Hätten nicht alle ihr Verhalten angepasst, hätte es keinen Paradigmenwechsel in der Gesellschaft gegeben und wäre die Wirtschaft nicht strukturell transformiert worden, gäbe es keine Welt mit einem vergleichbaren Leben wie wir es heute kennen.
Taavis Lehrerin weiß, nur wenn wir jetzt handeln, wenn jetzt alle Bemühungen darauf gerichtet werden 2 Grad zu erreichen, kann dieses Ziel noch Wirklichkeit werden. Dass die häufig genannten 1,5° längst Geschichte sind, verstehen alle, die wissen, dass wir bereits in einer 1,2 Grad wärmeren Welt leben (10).
Über all diese Themen konnte Taavi heute nichts lernen. Stattdessen sitzt er verdrossen am Strand und wirft Steine in die Algen.
Rechts von ihm dampft eine alte Fabrik vor sich hin. Sie stammt aus Zeiten der Sowjetunion, ist laut, dreckig und wenn der Wind schlecht steht, riecht er sie bis nach Hause. Längst werden keine Fischernetze mehr produziert, doch die Hallen sind die gleichen von damals.
Links wird ein moderner Industriepark erweitert. Auf den Dächern glänzen Solarpaneele, die Gebäude sind voll blühender Pflanzen und statt Altlasten oder Wegwerfprodukten werden echte Mehrwerte produziert.
Taavi spürt, dass die Welt im Aufbruch ist.
Vor ihm laufen die letzten Boote ins Hafenbecken ein.
Die Heering-Saison ist längst vorbei und doch träumt er von einem Leben auf dem Boot. Als Fischer, selbstverständlich. Die Sonne brennt auf das Deck und er zieht
Netze voll silbrig-glitzerndem Fang aus dem Meer. Sein Sohn steht neben ihm – packt mit an und lernt, wie auch er selbst, die Kunst des Fischens vom Vater. Er träumt davon, dass er alt wie sein
Opa an der Kaimauer spazieren geht, über das Meer auf Tallinn blickt und sich in den Bart lacht.
Am Ende war all das Gerede über Klimawandel und Artensterben wohl doch nur Seemannsgarn. - Die Hoffnung eines Kindes.
Als er aus seinen Tagträumen erwacht, versinkt die Sonne im Meer.
Welche Zukunft Taavi erwartet, wissen wir nicht.
Es hängt von den Entscheidungen von heute ab. Von den Menschen, die sie treffen.
Dass sie den richtigen Weg einschlagen.
Dass wir den richtigen Weg einschlagen.
Und alle anderen mitziehen.
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