Seit einer Weile will ich mich weiter mit meiner persönlichen Utopie beschäftigen. Nur fällt es mir immer schwieriger, mich zurückzulehnen und in Erinnerungen an Orte zu schwelgen, die mir utopisch erschienen. Zu sehr habe ich das Gefühl, von meinen täglichen Aufgaben festgehalten zu werden, als dass ich rückblickend den Charakter von Orten einfangen könnte, die mir so einzigartig-schön und erstrebenswert erschienen.
Daher ist dieser Text der Suche nach Ruhe gewidmet und dem einen Ort, an dem ich sie fast immer finde - dem Wald. Wie auf Knopfdruck beruhigt es mich, wenn ich unter das Blätterdach unser heimischen Wälder trete. Auch, wenn keine Blätter mehr an ihnen hängen.
Die Stadt ist grau, der Himmel auch. Weiße Flocken fallen aus ihm raus und vergehen in dem Moment, in dem sie auf den nassen Steinen landen.
Mein Kopf ist leer, das Postfach voll. Auf jedem Laptop zehn To dos – jedes meint wichtig zu sein. Wieso kann ich sie dann einfach ignorieren?
Trotzdem halten sie mich vom Schreiben ab. Wie die Flocken aus den Wolken muss ich hier raus. Rein in die Bahn und ab nach Haus – aufs Land.
Hier ist die Welt wieder weiß geworden. Weiße Felder wogen sich dem Horizont entgegen und verschmelzen mit dem Himmel. Weiß in weiß. Wie die Seiten vor mir.
Ich muss weiter raus.
Ich atme tief ein. Kalte Luft strömt in meine Lungen. Außer dem Rascheln meiner Kapuze und dem trötenden Ruf eines gefiederten Waldbewohners ist es still. Ich schlage meine Augen auf – rostrotes
Laub fällt auf den schneegedeckten Waldboden. Eingeschneit und angetaut, in nächtlicher Kälte wieder gefroren, knirscht und knackt es wenn ich darüber hinwegschreite. So laut, fast schon
ohrenbetäubend in der sonst vollkommenen Stille des Waldes. Erschrocken hebt ein Rehbock seinen Kopf. Gedankenversunken bemerke ich ihn kaum, bevor er in die kahlen Büsche springt. Kurz raschelt
es noch, dann haben ihn die jungen Buchen verschluckt und die Ruhe kehrt zurück. Dann das Knirschen der Blätter unter meinen Stiefeln.
Ich liebe den Wald. Einer der Orte, an denen ich den Trubel vergessen kann. Unverfälschte Besinnlichkeit. In der Vorweihnachtszeit auch ohne Kerzenschein. Rostrotes Laub vor weißem Grund erinnert
nur noch dann an die grüne Pracht, wenn mensch sie selbst gesehen hat. Ein bisschen, wie die schwarzen Schatten vergangener Wälder, die meinen Weg zum Olymp säumten. Mit dem Unterschied nur, dass
das grün der Buchen wiederkehren wird. Bis zum Frühling müssen der Bock und ich uns noch gedulden. Dann hüllt sie uns wieder ein, die weiche Decke, sanften grüns, mit der sich unsere Wälder noch
bis vor kurzem schmückten.
Ruhe. Endlich wieder ein Moment für mich. Sie werden rar, auf der Spur der Produktivität, gesäumt von unaufhörlicher Ablenkung – dem verführerischen Schein – Insta an, Kopf aus, schnelles Glück,
nur noch ein Klick.
Rubinrot funkelt mir die untergehende Sonne zwischen den Stämmen entgegen. Viel zu früh wird es nun dunkel. Viel zu kalt und viel zu lang ist die Nacht. Vor gerade mal zwei Monaten sprang ich zum
Sonnenuntergang noch in die Ägäis. Kaum vorstellbar, dass es nur 65 Tage her sein soll. Zeit in der jeder Moment für mich war. Jetzt fühlt es sich an, als wäre kaum noch einer übrig. Doch im Wald
kann ich durchatmen. Im Wald und in Lützerath. Ich klettere auf einen Jägerstuhl, um eine Sekunde noch der Sonne beim Versinken zuschauen zu können. Dann schließe ich meine Augen. Versuche mir
vorzustellen, wie es war, durch den Wald am Fuße des Olymps zu stapfen. Der frische Geruch von spätsommerlichen Piniennadeln füllt meine Nase. Wolken ziehen unter mir dahin. Rücklinks falle ich
ins Meer. Doch statt warmen Salzwasser kriecht mir die Kälte unter die Jacke. Inzwischen dämmert es. Rot ist nurnoch die aufgeplusterte Brust eines Rotkehlchens, das verstreute Tannenzapfen nach
Samen durchsucht.
Und das rostrote Laub, das dem weißem Grund entgegensegelt.
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Peter (Montag, 12 Dezember 2022 07:09)
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