Das Jahresende birgt Zeit zum Innehalten. Zeit von Brücken zu blicken und sich dem Fluss der Erinnerungen hinzugeben. Und wenn die so richtig fließen, wer braucht da schon einen roten Faden?
Fragte der ungelesene Autor
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Trotzdem viel Spaß beim Lesen und eine schöne Weihnachtszeit.
Grau in grau, grau-weiß-grau, grau-blau.
Jedes Jahr vergesse ich, wie monoton eintönig die Welt für eine Weile wird.
Jedes Jahr vergesse ich, wie kurz Tage und wie lang Nächte sein können.
Viel zu früh wird aus grau in grau, Anthrazit und schließlich schmutzig leuchtendes schwarz.
Der Hafen strahlt und Eis schiebt sich das Wasser hinab.
Schollen über Schollen treiben braun wie die Brühe dahin.
Verkorkste Skulpturen schlucken das Schwarz der Nacht.
Mächtige Stahlbögen stehen still.
Kurz vor Weihnachten und Hamburg schläft.
Schwarz stechen auch die Kirchtürme in den Himmel.
Michaelis, Petri, Nicolai.
Nur in der Alster spiegelt sich das rote Blinken des Fernsehturms.
Auch auf ihr treibt Eis. Eis von hier, langsam gewachsen, ist es glatt und still und reflektiert den Schein, wirkt sauber zart und fein.
Ganz im Gegensatz zum braun-gebrochenen Getöse unter den Elbbrücken. Hier ist das Eis nicht heimisch, nicht ruhig - kommt aus der Ferne angespült. Vorbei an Deichen und Deichen und Deichen, zerschellt an Buhnen, den Weg verwehrt vom tschechischen Sperrwerk, angestaut bis es überfiel, zuvor angetaut vom dampfenden Kühlwassersiel eines Atomkraftwerks, dessen grau weißer Qualm sich im winterlichen Himmel ganz unscheinbar verhielt.
So treibts die Elbe hinab und erzählt eine Geschichte ganz im Gegensatz zur Meiningen. Meiner Reise die mich hinaufführte, in umgekehrter Reihenfolge die Elbufer entlang.
Denke ich heute daran, fällt mir zu allererst die Zeit auf dem Rad ein. Eigentlich nicht verwunderlich, bei den langen Momenten die ich darauf verbrachte und trotzdem überrascht es mich, dass es die Monotonie des Fahrens ist, die sich am stärksten ins Gedächtnis schlich.
Die Schönheit der Monotonie.
Vom guten Fahren ohne Zeit. Im Sattel sitzend, auf den Lenker gestützt, schlängelt sich der Weg mal schmal mal breit - mal sandig, mal gepflastert und manchmal auch schnurgerade ausgelegt vor mir hin. Die Beine im immergleichen Takt drehend, gelegentlich in den Pedalen stehend, den Fahrtwind im Gesicht, der mir die Tränen in die Schläfen treibt. Weißer Staub auf der Haut wird davongewaschen von glückserfüllten Regenfällen, die die Welt um mich herum aufatmen lassen.
Keine Nachrichten. Keine Termine. Keine Werbung.
Nur ich in der Welt auf dem Weg von A nach B.
Tritt ein, Tritt aus.
Das schlechte Fahren kommt mir dabei fast nie in den Sinn. Nur verpackt in Geschichten erinnere ich mich an die Tage an denen ich langsam durchregne, mir die Kälte in die Knochen zieht und jeder Kilometer ewig vor mir liegt. An denen ich kaum voranzukommen scheine und ständig nur daran denke, ob ich heute wohl einen trockenen Schlafplatz finden werde. Tage an denen ich einfach Fahre, nur weil ich ein Ziel vor Augen habe, nicht weil ich fahren will.
Gedanken, die sich das Eis nicht machen muss, wenn es Matsch-verschmutzt den Fluss hinuntertreibt. Das Ziel die Nordsee, doch weiß es nicht, dass es alsbald befreit sein wird, vom starren Molekülgerüst, frei und aufgelöst in alle Richtungen sich verteilt.
Starr fühlt sich beizeiten auch mein Weg an, bevor ich das Meer erreiche. Von Etappenziel zu Etappenziel. 4 Tage Fahren – dann Pause, 3 Tage Pause - Fahren 5 Tage – Pause. Zeit steht verfliegend still und Mittel-Europas Landschaften ziehen neben mir dahin. Schöne Zeit im starren Kleid.
Berlin, Dresden, Prag, Wien – Ljubljana.
Nurnoch zwei Tage bis zum Meer, doch statt weiter zu fahren bleibe ich eine Woche hängen. Verliebt in einen Platz für vermeintlich hängen gebliebene. Oder Aufgeweckte… Wer will das schon beurteilen? Keine Pause sondern ein Ankommen. Die Zeit der Etappenziele ist vorbei. Das bekannte Europa liegt hinter mir. Eine Zeit des in den Tag Fahrens erwartet mich. Eine Zeit der erholten Pausenlosigkeit. Nicht rastlos, vielmehr zielstrebig, sofern der Weg als Ziel beschrieben werden kann.
Dann – nach 7 Tagen vertraut-verträumter Arbeit und zwei Tagen auf dem Rad klettere ich über die kroatische Grenze und blicke auf das Meer hinab. Die Adria. Schmal, blau und klar – eigentlich klein, scheint sie für mich doch unendlich zu sein. Eine blaue Ewigkeit verschwimmt am Horizont im unaufhörlichen Blau. Ton in Ton, im Grunde Monoton, was machts schon, bei dieser Schönheit, einzeln nur von weißen und grünen Flecken zersprengt.
Stunden später rolle ich an den einsamen Strand, den ich kaum noch zu finden gehofft habe. Kiesel knirschen unter mir, das Meer empfängt mich wohlig warm und scheint den Schmutz der Landstraßen von mir zu tragen. Ich tauche unter - aus blau wird schwarz, doch nicht weil das Meer das Licht verschluckt. Nur ein kurzer Übergang strahlt rot-Orange und wird gefangen genommen bis spät in die Nacht im Feuerschein, der vor mir tanzt.
Die nächsten Wochen werden genau so sein. Sollen genau so sein.
Genau, wie ich sie mir erträumt habe.
Wunderschöne Monotonie.
Was macht den Unterschied?
Die Farben, die Wärme, das Licht?
Oder ich?
Je länger ich über das eisige Wasser ins leere Grau blicke, desto mehr füllt es sich mit hellen und dunklen Flecken - Facetten aus nichts und wieder nichts.
Der Winter: Zeit sich Monotonie genau anzusehen.
Schön, dass wir uns diese vertraut verträumte Pause nehmen.
Besinnliche Weihnachten.
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