Es ist wohl diese Abwechslung polarer Gegensätze, die sich nur darin gleichen, unvergesslich zu sein, die mich das Reisen so lieben lassen.
Viel Spaß beim lesen!
Nur eine Woche ist Riga her und ich kämpfe mich mit zerstörten Beinen gegen finnischen Wind.
Seit drei Tagen, bin ich nur am Grinsen - in Finnland fühle ich mich angekommen. Nicht etwa weil ich selbst aussehe, wie ein pre-christianisierter Wikinger, nein, hauptsächlich liegt es an der Natur. Ob in der Stille an spiegelglatten Seenplatten im nächtlichen Sonnenschein oder zwischen wolkenbrüchigen Felswaldberge. Finnland lädt mich ein es zu lieben – und öffnet mein Herz.
Es ist ein mystisches Land, dessen Wildheit nicht bedrückend, sondern belebend wirkt.
Am See sitzend atme ich die Ruhe. Die fernen Möwenschreie erinnern mich: das Meer ist nicht fern. Doch hier am glasklaren Süßwasser, das selbst nur vom gelegentlichen Auftauchen der Fische unterbrochen wird – Blubb – stimmt nur ein Kuckuck seinen dumpfen Ruf durch den Wald. Der Schrei eines mir unbekannten Tieres – dann ist es wieder ruhig. Ohne das Rascheln meiner Hand auf Papier und das sanfte Kratzen des Stiftes, könnte ich wohl das Krabbeln der Ameisen hören. Jeder Hall reflektiert von der orange-gelben Wasseroberfläche. Eine Ente setzt schnatternd zur Landung an. Unterbricht schwarze Kronen – vorher scharf gegen das Licht gezeichnet. Woher es kommt, um 1 Uhr nachts? – von der Sonne natürlich. Doch so richtig begreifen, kann ich es nicht.
Meine Freude über Finnland unbeschreiblich. Und so driften meine Gedanken selbst auf den anstrengendsten Etappen, zu den einzigartigen Naturmomenten, die ich hier bereits erleben durfte.
Denke an die prasselnde Plane, die am nächsten Morgen über der Stille liegt. Die Ruhe nicht ruiniert, sondern perfektioniert. Und mir den wohl gemächlichsten Start in den Tag meiner bisherigen Reise schenkt.
Fahre vorbei an steinigen Moosfiguren - von der Witterung in Fels gemeißelt - lauern sie in vielfach-grünen Wäldern. Löwen und Trolle, Wölfe und Kobolde – tausend nie-gewesene Fabelwesen, die ich hier erblicken kann. Seltsam zauberhaft zieht dieses Land mich in seinen Bann. Golden liegen die Nebelschwaden vorübergezogener Regenschauer über den Kronen von Kiefern und Birken. Lassen alles noch malerischer wirken. Bevor sie langsam unter warmen Strahlen verfliegen.
Immerzu war ich am Grinsen. Und viel zu oft wurd es erwidert. Nicht nur von wilden Zauberwesen, gefühlt auch von jedem Mensch, den ich passier. Ob Kleinkind oder Ur-Oma – alle strahlen zurück. Aber vielleicht nehme ich die Griesgrame grad auch einfach nicht wahr.
Doch heute beginnt mir das Grinsen zu vergehen. Mein Streckenrekord durch Estland – vier Tage ist es her, dass ich 160 km an einem Tag gefahren bin – scheint mein Körper mir etwas übel zu nehmen. Ich dachte ja 26 Tage Vorbereitung würden reichen… aber es scheint nicht so.
Quälend langsam kurbeln Quadrizeps und Glutaeus mich und Helge voran. Die hügelige Landschaft - so sehr Geist und Auge sie auch lieben – gibt ihnen den Rest. Hinzu kommt, dass jedes Geschäft geschlossen hat und ein Ort nach dem anderen, weniger Leben birgt als jede Geisterstadt. Es ist Juhannus – Mittsommerfest – und finnischer Nationalfeiertag. Feierwoche denke ich wieder grinsend, als mir ein mittfünziger-Finne nur in Unterhose und Feinripphemd bekleidet fast vor die Reifen torkelt.
Es ist 12:30 Uhr und ich frage mich, ob er noch sternhagelvoll ist oder schon.
Er wird nicht der einzige bleiben und so entscheide ich mich für beides.
Arturs lettische Erzählungen vom übers Feuer springen, Käse essen und Bier trinken im Kopf, beginne ich mich mehr und mehr zu fragen, wie mein Juhannus aussehen wird. Allein an einem stillen See? Mit besoffenen Landmännern in einem der rot-gelb-grünen Holzhäuschen? Oder am Strand mit Teenagern über Feuer springend?
Noch weiß ich’s nicht, doch eins ist klar: ich brauch ne Pause! Die 60 km heute waren alles andere als meditativ und Turku liegt mir vor den Füßen. Die letzte richtige Großstadt auf meinem Weg. – hier finde ich sicher jemanden, der mir Inspiration für meine Abendgestaltung geben kann.
Und tatsächlich – wenig später rolle ich auf Helge den Kanal entlang und sehe dort am Straßenrand einen bunt-gekleideten Rasta-Mann. Ne, Moment. Kein Rastafari aber Reggae Bässe, langer Bart und braun gebrannte Haut haben mich zu voreiligen Schlüssen verleitet. Nichtsdestotrotz sieht Reino mir sehr sympathisch aus, wie er sein Straßenmusik-Set aufbaut. Also quatsch ich ihn einfach mal an.
Nicht grad elegant, kommt mir die Frage über die Lippen, wie, wo, ob er denn wüsste, was es für Orte geben könnte, an denen ich mich wohl zu sowas wie einem Mittsommerfest dazugesellen könnte – Juhannus – du weist schon. Er schaut mich schief an, ein Lachen in den Augen, und meint er feiere doch grad sein eigenes Fest. Ich können bleiben und später schauen wir, was sich noch ergibt.
Um ehrlich zu sein, nicht wirklich wonach ich gesucht habe. Denke an den Strand und übers Feuer springen. Doch Gastfreundschaft und Offenheit sind dazu da um angenommen zu werden. Accept everything – ein Weisheit, die Reino mir später auch noch mit auf den Weg geben wird.
Erst sitze ich so neben ihm in der Sonne, lausche Gitarre und Beatbox, die durch Loopstation und Verstärker schnell zu ihrem eigenen Orchester werden. Dann packt er zusammen und wir treffen Amir. Reden über sein Leben als Pakistani in Finnland, den Krieg und meine Arbeit als Kreislaufingenieur. Eigentlich versuche ich nur das Alpro-Jogurt-Becher-Konzept auf Häuser anzuwenden. Alles trennbar eben, damit es recycelt werden kann. Und endlich versteht mal jemand vollständig, was ich wirklich mache.
Nach ner Weile macht Amir sich zu seiner Tochter auf – Finnisch lernen – und wir fahren Henri einsammeln. Sturzbetrunken – seit 48 Stunden – stolpert er in Reinos goldenen Hug-Life Van. Die beiden stimmen ein Lied an, dann geht’s zu Henris Bruchbude – nicht ahnend, dass ich hier heute penn‘. Wir schmeißen ein Grilllagerfeuer an, essen Halloumi und erzählen uns Reisegeschichten. Whatever you do, do it with love – eine weitere Reino-Weisheit, der ich nur beipflichten kann und nehme die mir zu Herzen um doch noch meinen Sprung übers Feuer zu wagen.
Gerade als Henri lachend ins Koma fällt, kommt Valkyria um die Ecke. Sie ist auf ihrem ganz persönlichen Bicycle Trip und sucht ein Juhannus Abenteuer. So ähnlich wie ich eigentlich, nur dass sie aus Turku kommt und das letzte mal vor genau einem Jahr hier im Garten saß. Zu dritt hören wir uns quer durch die musikalische Hochkultur: So Vai von Cesco, die Internationale gesungen von Hannes Warder und After Dark von Mr. Kitty wummern durch den Fahrradfriedhof, den Henri seinen Garten nennt.
Als uns keine Lieder mehr einfallen, ist es 2 Uhr und Valkyria setzt ihren Trip alleine fort. Überraschenderweise bin ich immernoch völlig nüchtern. Reino auch. Und so setzt er sich in sein goldenes Gefährt und sagt mir Lebewohl. It was good to meet you, verabschiedet er sich – und wieder kann ich nur zustimmen.
Im Musikzimmer des schief-miefenden Hauses lege ich mich schlafen.
Ich weiß nicht, was ich von diesem Abend erwartet hatte. Mehr Rausch und Aufregung wahrscheinlich. Doch auch so war mein finnisches Mittsommerfest unaufgeregt schön.
Denn was mag ich schon lieber, als auf Reisen ehrliche Einblicke in die Leben einzigartiger Menschen zu bekommen, die ich sonst niemals kennengelernt hätte.
Erfahrungen, die nur ein offenes Herz ermöglichen.
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