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Ein ganzes Leben

Inzwischen habe ich viele Texte über meine Reise-Abenteuer der letzten drei Jahre veröffentlicht. Dass mein anhaltendes Fernweh dabei aus früheren Zeiten herrührt, liest sich zwar immer wieder zwischen den Zeilen heraus, wo der Grundstein dafür genau liegt, habe ich aber noch nie erzählt.

Und auch nicht, wie ich überhaupt zum Schreiben gekommen bin oder woher ich meine Zuversicht nehme, dass mir auf meinen Reisen schon nichts passieren wird.

Die Antworten darauf, finden sich in den ersten zwei Wochen meiner ersten alleinigen Fernreise.

 

Da gefühlt mein ganzes Leben und mit Sicherheit der ganze Blog seinen Ursprung in diesem Abenteuer genommen haben, möchte ich die Geschichte meines Aufbruchs hier erzählen.

Und für alle, die es mir gleichtun wollen, oder Menschen kennen, die das möchten, habe ich am Ende noch eine Empfehlung.

 

Ein riesiger Zwerg ragt vor mir in die Höhe. Er ist das bezeichnende Element der Ankunftshalle von Aucklands Flughafen. Dem Ort, an dem ich zum ersten mal im Ansatz begreife, dass ich im Inbegriff bin, mir einen jahrelangen Traum zu erfüllen. 

In Anbetracht der kurzen Zeit, die ich mehr oder weniger eigenständig denken kann, kann man fast von einem lebenslangen Traum sprechen. 

Der Traum meines eigenständigen Lebens.

 

Ich bin 19 und glaube, dass dieses erst heute beginnt. Die Abnabelung. Der erste Flug und die Feuerprobe. Ein Leben in der Ferne.

So sehr ich auch ahne, dass mich das kommende Jahr maßgeblich prägen wird, weiß ich noch nicht, dass ich hier den Grundstein für ein Fernweh legen werde, dass mich für den Rest meines Lebens auf neue Abenteuer schicken wird. Bis ich begreifen werde, dass ich mich dieser Entdeckungslust vollkommen hingeben will – nicht in Urlauben, Brückenjahren und Auszeiten, sondern als Lebensinhalt – ist es noch ein weiter Weg.

 

Ein Weg von dem ich nichts ahne, als Mama mir ein leeres Notizbuch in die Hand drückt und mich ein letztes mal in die Arme schließt. Sie habe früher selbst immer Tagebuch geschrieben. Bestimmt wäre das auch was für mich. Tränen laufen über ihr mir so vertrautes Gesicht.

Wir stehen vor dem Lübecker Bahnhof, der ICE Richtung Amsterdam wartet schon. Auch Michel drücke ich nochmal. Kaum zu glauben dass wir beide jetzt irgendwie erwachsen sind.

Noch einmal schließe ich Mama in die Arme, setze meinen viel zu schweren rot-grauen Deuter-Rucksack auf und laufe zum Zug.

 

Langsam beginnt die Welt an mir vorbei zu gleiten. Darin stehen Arm in Arm winkend Mama und mein Bruder. Werden kleiner und verschwinden hinter einer Häuserecke.

 

Ich bin auf mich gestellt. 

 

Dieser Gedanke wird mir noch häufiger durch den Kopf gehen auf meiner 48 stündigen Reise um die halbe Welt. 

Als ich zielstrebig mein Gate am Flughafen Schiphol suche, wie in Trance durch Bangkoks Terminals haste und mitten in der Nacht in Taipei lande – Taiwans Hauptstadt und mein ungewollter Zwischenstopp. 

Der günstigste Flug hat eben auch seinen Preis, denke ich mir, während ich das erste mal in meinem Leben durch asiatische Straßen laufe. Alles ist neu, alles ist aufregend… und alles hat so einen merkwürdigen Geruch. 

Eigentlich störe ich mich nicht daran aber als ich feststelle, dass auch alles hier danach schmeckt, freue ich mich 10 Stunden später wieder im Flieger Richtung Sydney zu sitzen. Erst flogen Stunden noch in Sekunden vorbei, die sich dann zu Tagen aufreihen. Irgendwann, will ich nurnoch da sein. Völlig denaturiert und entfremdet von mir und der Welt um mich herum bin ich das schließlich auch. In Sydney, wo ich ein letztes mal umsteige.

Nach Auckland.

 

Noch einmal wird die Welt klein unter mir. Kinder schreien, doch ich bekomme kaum etwas mit. Schlafe ich doch schon ein, bevor wir die Wolkendecke durchstoßen. 

Erst im Landeanflug wache ich auf. Praktisch über dem schmalsten Streifen Neuseelands und so sehe ich noch kurz die Tasmanische See, bevor die viel zu große Stadt und auf der anderen Seite der Pazifik in Sicht kommt.

 

Es folgt der übliche Lande-Tumult im Flieger – Menschen, die es garnicht erwarten können aufzuspringen, um dann zu dicht gedrängt im Gang zu stehen – dann setze ich meinen Fuß auf den Boden des Landes, in dem ich die nächsten Monate verbringen will.

Ich erwarte etwas magisches spüren zu müssen. Doch habe ich bloß weiche Knie, bin müde-aufgeregt und hoffe, dass ich nicht doch irgendetwas vergessen habe.

 

Als ich vor dem Zwerg mit der mächtigen Doppelkopf-Axt stehe, weiß ich, dass ich angekommen bin. 

 

Die nächsten Tage füllen sich mit der Beantragung meiner Steuer-ID, einer Konto-Eröffnung, Hostel-Bekanntschaften sowie Job-, Sinn- und Auto-Suche. Zwischendurch erkunde ich Auckland. Trampe mit Tyson über Waiheke-Island – einer der Stadt vorgelagerten Vulkaninsel –, arbeite zur Probe in einem Restaurant, verliere mich bei ewigen Billard Runden und lerne, wie man mit Zahnstochern die Kleingeld-betriebenen Waschmaschinen abzieht oder im Supermarkt Erdnussbutter als Karotten abrechnet.

 

Nach zwei Wochen glaube ich das Lebensprinzip eines Backpackers in Neuseeland verstanden zu haben und sitze in meinem ersten eigenen Auto auf dem Weg zu meinem ersten Job, der nicht im Restaurant meiner Eltern stattfindet.

Drei Stunden südlich habe ich diesen in Aussicht und verzweifle über der fehlenden Internetverbindung meines brandneuen Handyvertrages. Wie komme ich jetzt bloß aus dieser riesigen Stadt? Oder zumindest zur Autobahn? Und warum hat die Straße auf der ich fahre sieben Spuren, die alle in unterschiedliche Richtungen führen?

Der Stadtverkehr zieht meinen silbernen Honda Odyssey – und mit ihm mich – mit sich und ich treibe verloren durch graue Straßenschluchten und chaotisch wirkende Über- und Unterführungs-Dschungel.

Nach einer Weile des hilflosen Versuchs einen Sinn aus den Beschilderungen zu ziehen, entscheide ich mich für einen alternativeren Ansatz. Immerhin ist die Hilfsbereitschaft der Neuseeländer doch legendär.

 

Also fahre ich rechts ran und quatsche den erstbesten Typen einfach mal an. 

“Scuse me? Can you tell me, how I can get to Tauranga? To the Highway towards the City I mean..”

Er schaut mich an. Überlegt kurz. Setzt zum Satz an und bricht wieder ab. “Sorry mate, I dont think I can....” antwortet er mir in dicken Kiwi-Dialekt. “But my Lunchbreak just started and for sure I can show you!”

Was? For real? Dieser wildfremde Typ will mich jetzt in seiner Mittagspause zur Autobahn eskortieren?

Und was soll ich sagen? Genau das tut er! 

15 Minuten später winkt er mir hupend zu und nimmt die erste Ausfahrt zurück zu seinem Büro. Alright – von hier finde ich den Weg zu dem Kaff Namens Te Puke mit Sicherheit.

Mit nichts als keiner Ahnung von dem Job, der mich ab morgen erwartete, keinen finanziellen Rücklagen (die hatte mein Auto gefressen), dafür aber jeder Menge bester Laune und Gutgläubigkeit, teste ich die Grenzen meines Hondas und presche meiner ersten Feuerprobe entgegen... 

 

Hätte ich in dem Moment gewusst, was mich noch heute Abend erwarten würde - ich wäre direkt umgekehrt und in den nächstbesten Flieger nach Hause gestiegen.

 

Weil ich es nicht tat, kann ich heute die ganze Welt mein zu Hause nennen.

 

Tatsächlich finde ich den Weg nach Te Puke problemlos. Wundere mich wieder mal über die so anders strukturierten Siedlungen der ehemaligen Kolonie und stehe schließlich irgendwo an der Bundesstraße, die sich durch den Ort zieht. 

Theoretisch kann ich überall stehen und übernachten. Praktisch habe ich noch nie in meinem neuen Auto geschlafen und habe ziemliche Sorgen genau das einfach zu tun.

Gut, dass mein morgiger Arbeitgeber ein Hostel hat. Sicher kann ich mich da einfach auf den Parkplatz stellen. Ich mein, ist ja ne win win Situation oder?

Telefonisch erreichen kann ich ihn zwar nicht aber ich fahre trotzdem erstmal hin.

Deklariere den Platz neben den Mülltonnen als guten Spot und beginne mein Abendessen zuzubereiten. 

Weil ich noch nicht dazu gekommen bin mir einen Topf, geschweige denn einen Campingkocher zu organisieren, gibt es Brot mit Erdnussbutter und Marmelade. 

PB&J Toasts, der neben Fish & Chips höchste Genuss post-britischer Kulinarik.

Als ich mir den nussig-süßen Schmackofatz einverleibe fährt ein Auto auf den Hof und kommt vor mir abrupt zum stehen.

Ein grauhaariger Mann steigt aus. Bevor er zu sprechen beginnt, sehe ich schon die Wut in seinem Gesicht.

„Whats the matter with you?!“

„Ehm…“ kleinlaut suche ich nach Worten.

„Who allowed you to camp here!?“ fällt mir der Mann, der wahrscheinlich mein Arbeitgeber ist ins Wort.

„… I’m Julius… you hired me for Kiwi pruning“ – was auch immer das sein sollte – „and I didnt know where to sleep.“

Kurze Pause.

Rauch scheint aus den Ohren des Rumpelstilzchen-esquen Mannes zu kommen.

„Forget the Job! And F**k off my Property!“

Damit knallt er die Autotür zu und fährt Staub aufwirbelnd den restlichen Parkplatz entlang.

 

Mein Herz rutscht mir in die Hose.

Ich habe noch 90$ auf dem Konto und kenne absolut niemanden, der mir hier weiterhelfen könnte.

 

Ich weiß nicht genau, wann mir das erste mal die Tränen in die Augen schießen… als ich den letzten Biss meines PB&J Toasts esse, den Motor starte oder zum einzigen Campingplatz Te Pukes fahre. Jedenfalls werde ich dort von einer mütterlichen Maori-Dame – die mir den Kummer eines geplatzten Menschenbildes aus dem Gesicht lesen kann – mit den Worten „Oh Darling“ begrüßt, und in die Platzregeln eingewiesen. 

Keine Drogen klingt es mir noch durch die Ohren, als ich die erste Pfeife leuchten sehe und wenig später Schreie aus dem Toilettenhaus höre.

Vielleicht habe ich die Prinzipien des Backpackens doch noch nicht verstanden…

 

Wie ich da so weinend in meinem kleinen Kombi saß – ganz am Boden meines bisherigen Lebens und nur Menschen um mich herum, denen es noch viel grauenhafter gehen musste als mir – brach ein Teil meiner Welt zusammen.

 

Wieder einmal wusste ich das in dem Moment noch nicht, doch war es die perfekte Voraussetzung, um mir eine neue aufzubauen.

 

Und so begann am nächsten Tag die vielleicht schönste Zeit meines Lebens.

 

Eines Lebens von Entdeckerlust und Freigeistigkeit. 

Von Work and Travel und Roadtrips, von Wanderungen und Klippensprüngen, von Reisefreunden und Naturspektakeln, von Radreisen und Vangeschichten.

Ein Leben in dem sich die Vielseitigkeit des Reisens spiegelt, wie sich das tiefe Grün des Dschungels im türkisenen Wasser goldener Strände bricht. 

Ein Leben, das mal so berauschend wie die endlose Brandung pazifischer Küsten und mal so herzergreifend ruhig wie die unberührte Oberfläche eines nächtlichen Bergsees ist.

 

Ein Leben voll gutgläubiger Zuversicht, dass sich das beste ergeben würde und der unwiderruflichen Gewissheit überall mit jeder Situation fertig werden zu können, falls das mal doch nicht der Fall sein sollte.

 

Enttäuscht wurde ich darin bisher nie.

 

 

 

 

 *Funktionale Zusatzinfo*

 

Weil ich auf meinem Backpacking Abenteuer ich selbst werden konnte, und weil dort für mich alles begann – das Reisen, das Schreiben und der unerschütterliche Glaube ans Gute – kann ich allen empfehlen so etwas selbst zu erleben, oder Verwandte und Bekannte in vergleichbaren Träumen zu bestärken.

Wer sich dafür lieber ein bisschen besser vorbereitet als ich, dem ist mit der Website von zwei neuen Reisefreunden bestens geholfen.

Die beiden habe ich kürzlich in Spanien kennengelernt und sie haben mich nicht nur dazu inspiriert mal wieder in der Nostalgie meiner eigenen Backpacking Erfahrung zu schwelgen, sondern mir Löcher in den Bauch gefragt, was ich alles über Indien weiß. Dem nächsten Land was sie bereisen und eines der letzten, die ich auf meinem Auslandsjahr, das mit Neuseeland begann, entdecken durfte.

Wer auch in Neuseeland anfangen möchte, findet hier die Möglichkeit sich dabei tatkräftig unter die Arme greifen zu lassen und alle Infos, um das Ganze auch vollumfänglich selbst zu organisieren.

Falls dann doch noch Fragen offen sind, meldet euch einfach direkt bei mir. 

 

Über Indien erzähle ich bestimmt noch ein anderes Mal…

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Kommentare: 1
  • #1

    Peter (Samstag, 24 Februar 2024 14:29)

    OMG wie schön