Sand am Meer - Wie wie meine Reise begann

Reisen war für mich schon immer mehr als eine Urlaubsbeschäftigung. Für mich heißt Reisen Freiheit. Die Freiheit mich aus meinem persönlichen Mikrokosmos zu lösen und ein bisschen mehr begreifen zu dürfen, was für ein winzig kleiner Teil von der Welt ich bin. Nichts bringt diese Tatsache stärker zum Ausdruck, als aus eigener Kraft zu reisen. Ob Wandern, Radfahren oder Paddeln - zu begreifen wie viel Energie ich aufbringen muss, um nur mich selbst und ein paar Kleinigkeiten über eine vergleichsweise kurze Strecke quer durch Länder und Kontinente, über Flüsse und Berge, durch Wälder und Städte und entlang von Küsten und Kulturen zu bewegen, ist eine Erfahrung, die ich selbst machen musste - und immer wieder machen will. Dass ich die Möglichkeiten dazu hatte, und sie mir seitdem immer wieder einräume, kann ich immernoch nicht ganz glauben. 

 

In dieser Hinsicht war meine Tour nach Le Mont Saint Michel eine besondere Reise. 1.900 km Fahrrad fahren klingt viel, global betrachtet ist es aber kaum mehr als ein Katzensprung. Wie ich diesen tagtäglich erlebt habe, beschreibe ich hier mit kurzen Einblicken in meine 45 Tage auf dem Rad. 

 

Meine aktuelle Reise um die Ostsee und zu den Lofoten werde ich in ähnlicher Weise auf Instagram beschreiben. Meine Blogeinträge werden dagegen im Detail einzelne Momente meiner Reise hervorheben. Ich hoffe ihr habt so viel Spaß beim Lesen, wie ich beim Schreiben!

Tag 1 - So weit wie die S-Bahn fährt:
Um 9 Uhr wache ich auf und bleibe noch 45 Minuten liegen. Ganz glauben kann ich nicht, dass der Tag der Abreise gekommen ist.
Um 11:00 bin ich mit Max verabredet um loszufahren. Der ist natürlich nicht da... Darauf kann man sich einstellen, wenn man ihn schon ne Weile kennt.
Ne Stunde später trudelt er dann doch ein. Seine Geschichte, wie es zu der Verspätung gekommen ist, lässt jegliches Gefühl von Ungeduld sofort verfliegen. Und schon geht's los! Für die ersten Tage begleiten mich Max und Leon. Und den holen wir als nächstes ab.
Keine weitere Stunde ist vergangen, bevor wir die erste Panne haben - in Wilhelmsburg... Was ein Start. Aber nach kurzer Verwirrung fixen wir den Schaden und düsen weiter. Oder kriechen wir doch eher? Zu dritt müssen wir erstmal unseren Rhythmus finden. Nicht ganz leicht bei drei Chaoten.
Um 18 Uhr stolpern wir dann bei Stade über diesen Strand. Perfekt zum Wildcampen, ohne erwischt zu werden - und das in S-Bahn-Reichweite! Ganz zufrieden sind wir zwar nicht mit unserem Tageswerk, aber dafür kennen wir jetzt einen neuen Spot in Hamburg. 


Tag 2 - Wieso gibt's hier so viele AKWs?
Unser zweiter Tag kommt dem Gedanken einer Radreise schon näher. Unterm Strich passiert recht wenig, außer viel gute Zeit auf unseren Rädern. Nach zwei Atomkraftwerken und 60 Kilometern geht der Tag dann auch schon dem Ende zu. Um 18:30 Uhr stehen wir vor ner Klappbrücke, die nur von 10 bis 17 Uhr unten ist... Merkwürdiges Konzept. Mitten in Deutschland kann man einfach nicht weiterfahren, weil die Brückenwerter schlafen müssen. Es lebe die Digitalisierung! Naja jedenfalls haben wir dann Klaus gefragt, ob wir in seinem Garten Zelten dürfen. Da man mir mit Anglerhut und schelmischen Grinsen scheinbar nichts abschlagen kann, bauen wir kurz darauf unsere Zelte auf. Jetzt ab ins Bett Freunde. Die Schafe beschweren sich schon über die ungefragten Besucher.
Ich frag mich, ob wir morgen am Meer ankommen.


Tag 3 - Menschen und Regen
Kennt ihr diesen Satz, mit dem wirklich alle die Beschreibung ihres Urlaubs beenden? "... Und die Menschen! Die sind einfach anders! Die waren so toll!" - Stimmt auch. Wenn man selbst offen und glücklich ist, sind auf einmal auch alle anderen super nett zu einem... Magie! Wieso laufen nicht einfach alle mit Urlaubsmentalität durchs Leben? Ist Alltag echt so belastend, dass das nicht geht oder begegnet man auf Reisen immer nur den coolsten Locals?
Von Klaus Frühstück und Kaffee Einladung, über den Fahrradschrauber in seiner Mühle, bis zu den 50-jährigen Radfahr-Brüdern, die uns einen Wildcamping Spot ihrer Jugend empfohlen haben - Die meisten Menschen sind freundlich und helfen dir gerne.

 

Umso trauriger, dass Leon uns schon verlassen muss.
Was sind eure Lieblingsreisebekanntschaften? Ich hoffe euch fallen ein paar ein, denn bessere Stories gibt's meiner Meinung nach nicht!


Tag 4 und 5 - Vaude warum hast du mich verraten?
Insgesamt knapp 190 km weiter ist viel passiert.
Nachdem wir gestern zunächst gemütlich in den Tag gestartet sind, legten wir die 20 km nach Bremerhaven ratz fatz zurück, hatten jedoch noch kein konkretes Ziel vor Augen. Bei der Weser Querung trafen wir dann auf einen zugezogenen Bremer aus Stuttgart, der nur so von Langeoog schwärmte, dass eins fest stand: Heute müssen wir auf diese Insel! Die 100km schaffen wir locker... Ist ja erst 13 Uhr. Als wir allerdings 75km später in Jever pausierten, entdeckten wir zwei unbequeme Wahrheiten. Die Fähre nach Langeoog fährt nur bis 17:30 Uhr und Inseln sind teuer.
Statt Ostfriesland-Romantik auf der Insel stand also spontane Schlafplatzsuche am Wegesrand an. Nach 20km haben wir dann endlich ein Feld gefunden das passt - schönen Dank an das zersiedelte Deutschland. Die Erkenntnisse des Tages? Überprüfe ob du deine Ziele erreichen kannst bevor du sie steckst und gib nie auf. Bisschen gegensätzlich aber gerade beim Radfahren sehr wahr.

Der heutige Morgen startet dann mit Regen. Erstmal kein Problem... Bis die Tropfen durch die Zeltplane spritzen. Vaude du Scheißverein! Etwas niedergeschmettert und durchgeweicht gings dann weiter zum Bahnhof - Max muss los. Noch ein emotionaler Tiefpunkt! Ich fruste eine Weile am Strand. Nach gezeckter Dusche auf nem Campingplatz und ermutigendem Telefonat mit einer Freundin gehts wieder. Auf dem Rad kann ich mir den restlichen Frust von der Seele treten. Dabei immer den Deich auf der Rechten und ewige Felder auf der Linken. Langsam freue ich mich auf Steilküsten und andere spektakuläre Landschaften.... Aber noch sind Felder auch ganz schön.
Das Zeltproblem ist trotz Frustabbau noch nicht gelöst. Und heute Nacht solls wieder regnen. Also fahre ich von Hof zu Hof und frage, ob ich in der Scheune pennen darf. Beim 5. Klappts! Nicht nur in der Scheune, sondern im leerstehenden alten Bauernhaus! Nach 5 Tagen wieder drinnen schlafen und ein ganzes Haus für mich... Was ein Upgrade zum nassen Zelt!
Bleibe gespannt, wie es alleine wird - auf jeden Fall sicherer... Geendet ist unsere gestrige Tour damit, dass ich Max abgedrängt habe und der eine grazile Judorolle über Fahrrad und Backpack machen musste. Sorry dafür!


Tag 6 - Der Mann im Meer
Wie schon mein Bruder Gott zu zitieren pflegte: "Sonntag sollst du chilln". Also kein Fahrrad fahren, sondern auf Hof Platthausen bleiben.
Morgens bin ich bei Jacob und Ina zum Frühstück eingeladen. Am Ende sitze ich bis zum Mittag mit den beiden zusammen. Bis dahin ist dann auch klar, dass ich noch eine Nacht bleibe.
Übern Nachmittag sitze ich am Deich und denke nach - einfach so! Wann hat man schonmal Zeit dafür? Dabei ist mir der Mann im Meer aufgefallen. Der stapft da so in weiter Ferne durch die Gegend und zieht irgendwas neben sich her. Ich frage mich die ganze Zeit, was er wohl macht. Muscheln sammeln? Proben nehmen? Einfach Wattwandern? Als er näher kommt, erkenne ich dass er bloß einen Eimer auf einem Schlitten bei sich hat. Wieder an Land kippt er den Inhalt des Eimers in die Salzwiese und geht. Ich hätte ihn fragen können, wozu das ganze... Aber man muss auch nicht alles entmystifizieren. 
Pünktlich um 16 Uhr stehe ich wieder aufm Hof. Heute steht Silage abdichten an und ich habe meine Hilfe angeboten. Danach melken wir noch Kühe. Als Landwirt arbeitet man 365 Tage im Jahr - jedenfalls auf Familienbetrieben. Aber die gibt's ja kaum noch. Die beiden erzählen mir davon, wie die Auflagen auch für sie alles immer komplizierter machen. Und das obwohl sie einen wahren Musterbetrieb führen. Die Kühe stehen das halbe Jahr nur auf den Weiden um den Hof. 70 Kühe auf 40 Hektar Grünland. Gemolken wird zweimal täglich bis der Euter nichtmehr drückt. Im Stall liegt Stroh, nur bei den Futtertrögen sind Spalten - damit es sauberer ums Futter ist. Und man schmeckts! Die Milch ist köstlich und die Kühe sehen nicht unglücklich aus. Alles kommerzielle Landwirtschaft.
Ich will nicht alles schön reden. Aber das Bild, dass Peta und Co. von Landwirt:innen zeichnen schärt sie zu sehr über einen Kamm. Klar, auf riesen Betrieben geht der Bezug zum Tier verloren und die Kühe leiden unter schlimmen Bedingungen. Ich habe aber gelernt, dass kommerziell nicht gleich kommerziell ist und denke mir, dass viel mehr Kleinbetriebe gefördert, bürokratisch entlastet und systematisch geschützt werden sollten. Dort läuft bestimmt nicht alles Perfekt aber 100 mal besser als in den "Milchfabriken".


Tag 7 - Tschüss Niedersachsen, moin Groningen

Die erste Woche meiner Reise neigt sich dem Ende zu. Noch kann ich nicht sagen, mich selbst gefunden zu haben (denn das ist die Grundmotivation des Trips). Dafür aber einige andere Dinge. Wie den Glauben an die Landwirtschaft und viel Schafscheiße. Die Diversität ist groß^^

Der Abschied von Ina und Jacob war kurz aber mit Herz. Habe auch nichts anderes erwartet. Im Anschluss gings erstmal nach Emden. Denn auch wenn für die nächsten 10 Tage Spitzenwetter angesagt ist, brauche ich eine Notfalllösung für Regenfälle. Also rein in den Baumarkt und ne Plane mit Ösen kaufen. Hoffe das hält dann auch...
Als kleiner Snack dann ein Matjesbrötchen am Hafen - die Enten hatten auch Bock. Wahrscheinlich eher aufs Brötchen.
Als nächsten Step gings darum die Dollart zu umrunden und in die Niederlande zu kommen. Als ich auf der Tour mit der Fähre die Ems passiere, spreche ich kurz mit einem Niederländer. Der fragt mich ganz verdutzt, warum ich denn weiter die Küste hochwollte, "da ist doch nichts".
Inzwischen weiß ich was er meinte. Keine Menschenseele weit und breit. Dafür viel Platz für mein Zelt.


Tag 8 - Groningen = Industrie und Einsamkeit
Der Tag ist vergleichsweise unspektakulär. Nachts wache ich ein paarmal auf, weils um mich rum raschelt, pfeift und zischt. Sonst ist die erste Nacht alleine im Zelt aber gut. Um 8 bin ich bereit aufzustehen. Also schnell raus aus den Federn, Zelt abbauen und zum Frühstücken auf die Landzunge. Grad als ich fertig bin, fährt ein Bauer auf nem Quad über das Feld, auf dem 45 Minuten vorher noch mein Zelt stand - Glück gehabt. Glaube ich zumindest, denn ich habe gelesen, dass Wildcampen in den Niederlanden streng verboten und garnicht gerne gesehen ist. Mal sehen, ob ich das noch rausfinden werde.
Im Anschluss fahre ich bummelig ins nächste Städtchen, entdecke auf dem Weg einen frei zugänglichen Kirchturm, bei dem ich Wasser auffüllen kann, gehe einkaufen und springe spontan in die Emsmündung. Wer mich kennt, weiß, dass es praktisch nicht möglich für mich ist, am Meer zu sein und nicht baden zu gehen. Daher ist der kurze Sprung ins Nass längst überfällig und sehr willkommen - trotz 30 cm tiefem Wasser.
Danach gehts weiter den Deich entlang. Zwischendurch verirre ich mich im Energiepark von RWE und Vattenfall... #scheißverein!
Am Ende der heutigen Tour ist die Dehnsession bitter nötig. Bisher bin ich jeden Tag im Schnitt 70km gefahren. Auch heute. Das merkt man dann doch.

Kurz davor traf ich noch Janosch. Der kommt aus dem Ruhrpott und hat keine Kohle. Weil er nicht weiß, was er sonst machen soll, läuft er die Küste runter, bis er am Strand ankommt. Da er seit Samstag nichts mehr gegessen hat, hab ich ihm erstmal Kekse geschenkt. Und Sonnencréme. Und ihm erklärt wo der nächste Strand ist. Und wo er grad ist... Ich hoffe er findet seinen Strand.


Tag 9 - Von anarchischen Fischern zu Campingplatz-Künstlern


Heute war mal wieder ein Tag der Menschen.
Kaum bin ich aufgewacht gings schon los. Der Deichranger und sein etwas dünn angerührter Lehrling stehen mit dem Pickup vor meinem Zelt. Das sei verboten erklärt mir der Ranger nicht ganz unfreundlich. Aber ich solle verschwinden. Sein Komplize kichert ganz wild auf dem Beifahrersitz. Die beiden dampfen ab und ich lasse mir noch knapp 2 Stunden Zeit, in den Tag zu starten. Vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit zu wechseln, hat schon viel Energie freigesetzt. Das merkt man, wenn man jeden Tag sein Lager auf und abbaut.
Es geht - wie soll es anders sein - weiter den Deich entlang. Doch ich merke schon: Heute ist kein Tag für Strecke. Als ich durch einen kleinen Hafen fahre, entdecke ich ein merkwürdig aussehendes Restaurant am Pier auf der gegenüberliegenden Seite. Ich fahre rüber. Es heißt 'tAiland - check ich nicht. Drinnen steht eine Siebträgermaschine. Mehr braucht es nicht, um mein Herz zu schmelzen. Vor allem nach 8 Tagen ohne Kaffee. Aber es ist kein Schwein da. Ich laufe drum rum und frage eine Frau die grad Austern schält. Sie verweist mich ins Kühlhaus.
Da ist Ludde. Eigentlich ist er nicht für das Restaurant zuständig aber da ich ihn sowieso schon gestört habe, kann er mir auch einen Kaffee machen.
Kurz danach bin ich im Gespräch mit Baaf. Es geht um Seaspiracy und nachhaltige Fischerei. Wieder mal lerne ich auf dieser Reise, dass es kein schwarz weiß gibt. Kein gut und böse. Aber das war ja eigentlich schon vorher klar.
Irgendwie fange ich an den beiden zu helfen. Fisch ausladen, Grill einladen, Fisch ins Kühlhaus, Eis schaufeln und Fisch sortieren. Ein paar Stunden sind rum und ich hab viel über die anarchistischen Fischer erfahren. Und eine Einladung zum Grillen - am Samstag in Amsterdam. Das ist zu schaffen denke ich.
Als ich weiterfahre lerne ich das kleine und gemütliche Friesland immer besser kennen. Alles voll winziger Kirchen und noch winzigerer Häuser. Ich halte an einem niedlichen Café und frage nach Apfel und Banane... Für den Frühstücksporridge. Letzteres bekomme ich. Und köstlichen Apfelkuchen.

Kurz darauf finde ich mich auf einem Kunst-Campingplatz im Aufbau ein und verhandle für ein paar Stunden Arbeit kostenlos übernachten zu dürfen. Für den Moment ein guter Deal!


Tag 10 & 11 - 150 km Gegenwind

Vorgestern Morgen musste ich erstmal meinen Deal einlösen. 4 Stunden Arbeit gegen eine Nacht auf dem Campingplatz. Fairerweise wurden daraus eher 2,5 Stunden, in denen ich die Metallrohre für ein zukünftiges Kunstwerk polierte. Ein guter Deal, wie ich finde.
Danach gings los. Gegenwind bis zum Ijsselmeer. Auf dem Deich ists besonders schlimm. Der ist übrigens eine wunderbare Metapher dafür, wie die Natur ausgebeutet wird, um uns vor den Folgen der Ausbeutung zu schützen:
Sand wird vom Meeresgrund abgebaut, um Beton für Gebäude und Infrastruktur herzustellen. Strände, die als natürliche Barriere zwischen Land und Meer dienen rutschen immer weiter ins Meer. Ausgleichsflächen gegen Hochwasser werden eingedeicht um Lebensraum zu schaffen. Sturmfluten werden stärker, Deiche höher und vor allem in den Niederlanden mehr und mehr betoniert. Und wo kam der Sand dafür nochmal her? Schöne scheiße...

Naja als ich beim Bus ankomme, der mich über den Rest des Deiches führt, fühlt es sich zwar etwas an wie cheaten aber ich bin froh über die Pause. Aus irgendeinem Grund entscheide ich mich, danach noch 30km zu fahren, um zum Strand zu kommen. Trotz Gegenwind: Für den Schlafplatz und das Bad hats sich gelohnt.
Die Nacht verbringe ich in den Dünen unter freiem Himmel.

Am nächsten Tag geht's nach Amsterdam. Nachdem ich mich im Naturschutzgebiet um die Dünen verfahre, komme ich doch irgendwann an.
Glücklicherweise nimmt Anna mich auf ihrer Couch auf. Reisefreunde sind viel Wert! Zur Feier des Tages und der Zwischenetappe gibt's grandioses Tapas - und ich werd auch noch eingeladen.
Liebe geht raus an alle Freunde der Gastfreundlichkeit.
Amsterdam ist herrlich!


Tag 12 & 13 -  Grillen mit Wikingern


Samstag Morgen - der Tag beginnt und ich schlafe herrlichst auf Annas Couch. Nachdem wir eine Weile über den Lindengracht Markt schlendern und ich den Stand der anarchistischen Fischer von 'tAiland entdecke packe ich mein Zeug.
Baafs Einladung ruft - der Typ, dem ich 4 Tage vorher beim Fisch sortieren geholfen hab. Auch bei den Fischern. Dazugehören tut er aber nur so halb.
Also mache ich mich auf den Weg in den Norden von Amsterdam. 10 Kilometer Minus sozusagen. Halb so wild.
Als ich ankomme haben alle Männer Bärte und lange Haare. Erstmal sympathisch. Einige Kinder und Frauen tragen Blumenkränze als Kopfschmuck. Es dauert nicht lange, bis ich frage, in was für einen Kult ich hier geraten sei - kein Kult, nur "Viking enthusiasts". Vom Handwerk, über die Geschichte bis zum Kämpfen. Und das Essen natürlich... Wie man sieht. Deswegen feiern wir auch Mittsommer. Zugegebenermaßen etwas früh, aber was solls.
Der Tag zieht dahin und ich lerne viel über authentische Wikingergeschichte und die Freiheit der niederländischen Berufswelt. Was neben dem Geschichtsfable alle verbindet, fasziniert mich besonders: praktisch niemand hat gelernt oder studiert, was er oder sie jetzt arbeitet. Das Studium war für alle eher eine Findungsphase. Die Karriere beginnt danach.
Interessantes Konzept wie ich finde.
Einige Biere, Lammkeulen und Fruchtliköre später, schlafe ich im zukünftigen Kinderzimmer von Baaf und Alice ein.

Am nächsten Tag passiert nicht viel. Wir räumen auf, frühstücken und ich werde eingeladen noch eine Nacht zu bleiben. Daraufhin bummel ich etwas durch die Stadt. Vielleicht sollte ich der Fotografie doch noch mal etwas mehr Aufmerksamkeit widmen, denke ich, als ich faszinierende Perspektiven entdecke und sie nur so mäßig einfangen kann... Vielleicht.

Das leckerste Brownie Rezept der Welt gibt's übrigens auf BBC Goodfoods. Als ich von meinem Spaziergang zurückkehre und Baaf die letzten Brownies des Vortages ohne mich verdrückt hat, kullert mir eine Träne über die Wange... Zumindest fast.
Alice ist allerdings auch eine hervorragende Bäckerin.


Tag 14 - 16 - Willkommen auf Kaag!


Amsterdam war fast schon zu schön. Als ich wieder aufs Fahrrad steige, gehen mir tausend Dinge durch den Kopf. Unter anderem, ob ich nicht einfach den Zug zurück nach Hamburg nehmen soll... Die Reise mit Amsterdam als krönenden Abschluss. Zwei Wochen reichen dann ja auch. Raus aus der Märchenwelt und zurück ins echte Leben... Erwachsen sein halt.
Irgendwie hatte ich da dann doch keine Lust drauf. Stattdessen rufe ich Johann an. Ein Bio-Bauer, der Reisende wie mich gegen etwas Arbeit bei sich auf den Hof aufnimmt. So eine Pause würde mir gut tun. Er geht ran und sagt sofort ja - Er gehe grad in Arbeit unter. Alles klar, nichts wie hin. Mit Abstecher zum Strand versteht sich.
Als ich auf Kaag ankomme, merke ich sofort, dass die Uhren hier anders ticken. So kommt man nur mit einer winzigen Fähre auf die Insel und manche Nebeninseln kann man nur mit einer handbetriebenen Kurbelfähre erreichen - wie bei Herr der Ringe! Wusste garnicht, dass es sowas noch gibt...
Allgemein erinnern mich die Leute hier ein bisschen an Hobbits im Auenland.

Auf dem Hof zeigt Johann mir erstmal alles. Mein Schlafgemach mit Blick in den Kuhstall, den Gemüsegarten, die Kälber und das Bed and Breakfast. Da er den Gülletank durchgemischt hat und der bestialische Gestank nach verwesten Eiern voll in das Apartment überm Kuhstall kriecht, ziehe ich doch erstmal in eins der Gästezimmer. Glück gehabt!

Als ich ihm erzähle, dass mich Gärtnerei interessiert, versteht er was falsch. "Dann mach doch einfach unser Gemüsebeet fertig, da hat sich ewig niemand drum gekümmert." Völlig überfordert stehe ich da. Naja ich fang einfach mal an. Ne... hab doch keine Ahnung... Ich schreib mal einer gärtnernden Freundin. Die kennt sich damit aus. Sie erklärt mir die Basics und ich kann loslegen. Danke nochmal!

So oder so ähnlich gehen die Tage weiter. Viel Unkraut jähten und bauen ist dabei. Dinge die ich mag halt. Komisch eigentlich... Ich dachte immer jeder würde Bürojobs mögen.

Stattdessen liege ich viel lieber auf irgendwelchen Strohbällen rum. Und über mir das Rauschen der Flugzeuge. Drei Einflugschneisen machen sich dann doch bemerkbar.


Tag 17 & 18 -  Nichts tun


Gefühlt arbeitet auf Kaag niemand außer Johann. Der dafür 16 Stunden am Tag auf Hochtouren. Ständig hastet er über den Hof, um noch irgendetwas zu erledigen. Sand zu den Nachbarn liefern, Unkraut jähten, Heuballen stapeln, Misthaufen umwälzen, Zäune reparieren... Während der Rest der Insulaner gemächlich über die Insel schlendert.
Ganz wahr ist das natürlich auch nicht. Aber es wirkt so...
Gestern war dann mein freier Tag und ich dachte mir ich passe mich mal an das Inselleben an. Nichts tun also... Ausschlafen, Lesen, Frühstücken, Baden, Lesen... Mittags hats mir dann aber wieder gereicht. Also ab aufs Festland zum Einkaufen. Dazu drei Kugeln Eis, wie immer eine klassische (Zitrone) und zwei neue zum ausprobieren. Empirische Studien haben ja bewiesen, dass die meisten Leute immer die gleichen Sorten bestellen^^

Als ich zurückkomme filme ich meine Fahrt auf und über die Insel. Mit meinem Hippy Look werde ich auf Kaag sowieso immer schon etwas beäugt. Mit der Gopro auf dem Kopf sind die Blicke schon fast furchterfüllt. Lustig wie leicht man Hobbits verunsichern kann.

Abends will ich noch was erleben. Ich schwimme um die winzige Nachbarinsel und frage mich, ob Johann wohl ein Boot hat. "Klar, musst nur das Wasser rausschöpfen". Gesagt getan - 20 Minuten später heize ich übers Norremeer, den Dieperpol, Zweiland und den Kever. Wobei heizen mit 8 PS eher tuckern ist. Fühlt sich für ein Landei wie mich aber schnell an... Jedenfalls die ersten 10 Minuten.

Heute hab ich dann den Steg fertig restauriert. Vorgestern hatte ichs schon zu gut gemeint, die Unterkonstruktion des Aufgangs neu gebaut und deswegen zwei Stunden länger gearbeitet als gedacht. Auch wenn der Rest genauso vergammelte ist mach ich jetzt halt nur den "Laufsteg". Und hier ein bisschen Unterkonstruktionsverstärkung. Und hier. Und hier... Am Ende reichen die Schrauben nicht. Blöd gelaufen.

Als es zu Gewittern anfängt, bin ich froh grad ein echtes Dach überm Kopf zu haben. Während es schüttet wie aus Eimern, lege ich mich trotzdem in mein Zelt. Dichtheitstest. Ganz schön das Prasseln.


Tag 19 - 20 - Jedes Ende ist auch ein Anfang


Die Woche bei Johann ging rum wie im Flug. Gestern hab ich ihm noch geholfen einen Zaun zu bauen und kurz darauf verteidigen wir das Auenland gegen Saruman.
So hab ich mich mit dem riesigen Holzhammer zum Pfähle einschlagen jedenfalls gefühlt. Vielleicht schwelge ich auch nur noch ein bisschen in Vikinger Geschichte und das wäre die Waffe meiner Wahl.
Man weiß es nicht.

Obwohl die Woche auf dem Hof so verflog, war sie lang genug mich wieder komplett aus meiner "Reiseroutine" zu kicken. Der Aufbruch heute hat sich fast angefühlt wie der erste Tag. Mit dem kleinen Unterschied, dass ich jetzt alleine unterwegs bin und doppelt so viele Kilometer gemacht hab. Obs da wohl einen Zusammenhang gibt...

Obwohl ich den Blick in den Kuhstall vermissen werde, hat sich das Radeln super angefühlt. Vorwärtskommen und den Kopf frei machen. Frei für Gedanken über mich und meine Entwicklung. Vielleicht werde ich einfach Influencer. Fehlen nur noch ein paar Follower^^ Ansonsten halt Gärtner. Oder Tischler. Oder Landwirt. Ach Mist... Schon wieder zu viele Ideen.

Als ich durch Den Haag komme, sitzt eine Gruppe von 30 Inderinnen singend am Strand. Daneben üben drei Jungs mit ihrem Vater Saltos. Ich setze mich eine Weile, lausche und schaue zu. Perfektes Nachmittagsprogramm.

Über die Maas zu kommen erweist sich dann doch als ziemlicher Krampf. Als ich die Fähre endlich finde, fährt sie - na klar - direkt vor meiner Nase weg. Zum Glück ist die Maas nicht so groß und bald ist sie wieder da. Dahinter eine Hubbrücke. Ich Glaube die Niederlande sind einfach nicht für schnelles vorankommen gemacht.
Aber dann bin ich auch schon in Zeeland - dachte ich zumindest. Tatsächlich gehören die beiden nördlichen Inseln noch zu Holland. Naja auch egal... Dann bin ich halt auf ner Insel in Holland. Nicht mehr weit, dann liegen die Niederlande hinter mir.
Irgendwie aufregend...

Heute schlafe ich erstmal wieder im Zelt. An einem Picknickplatz am See. Mit ein bisschen Angst vor dem angekündigten Regen. Drückt die Daumen!


Tag 21 - Sind das noch Zufälle?


Als ich am 20. gerade mein Handy weglege, um mein Lager aufzubauen, kommt Ferradh um die Ecke. "Kann ich mich hier hinsetzen?" - Klar denke ich und räume mein Zeug zur Seite. Eigentlich wollte er lesen und Zeit für sich haben. Aber wir kommen ins Gespräch. Hauptsächlich darüber seinen Träumen zu folgen und sie sich nicht von gesellschaftlichen Vorstellungen verbieten zu lassen.
Als er ein paar Stunden später geht, frage ich mich, ob es nicht doch sowas wie Schicksal gibt.

Ich schlafe unruhig, weil neben mir im Teich ständig irgendwelche Rehe und Wildschweine baden gehen...
Irgendwann in der Nacht fängt es in strömen an zu regnen - zum Glück hab ich die Plane noch über mein Zelt gespannt.
Am nächsten Morgen im Regen weiterzufahren macht trotzdem keinen Spaß. Ich komme nicht weit, schon setze ich mich in eine dieser touristischen Strandbars. Nicht wirklich mein Vibe aber mir ist kalt. Und auch wenn sie keinen vernünftigen Kaffee haben, gibt's immerhin heiße Schokolade. Die Kellnerin scheint mich zu mögen und spendiert Fried Fish. Lucky me.

Nach nur insgesamt 40 Km komme ich an diesen Strand. Ein Schild warnt vor Treibsand, einem Problem, das ich als Kind viel größer eingeschätzt habe, als es tatsächlich ist. Danke an alle Western Filme. Am Strand selbst verliere ich mich in den Sandverwehungen. Hinter den Dünen entdecke ich einen perfekten Zeltplatz. Ich bleibe.
Und sehe noch etwas. Ein zweites Zelt. Als ich hingehe recken mir zwei Hunde ihre Köpfe entgegen. Ein ungewohntes Bild.
Ich rufe Hey und drinnen denkt Nick "Fuck ein Ranger". Als er seinen Kopf rausstreckt wissen wir, dass wir gleichgesinnte sind. Im wahrsten Sinne. "Lust auf ein Feuer" frage ich nach 5 Minuten. - Klar.
Wir gehen Holz sammeln und bald wärmen uns die Flammen. Unsere Gespräche reichen von Tiny Häusern und Minimalismus bis zum Off Grid Leben. Und so zu leben, dass man inspiriert ist. Seinen eigenen Weg gehen. Nicht den vorgeschriebenen.
Inzwischen ist das Lagerfeuer runtergebrannt.

Im Zelt erwartet mich eine weitere unruhige Nacht. Trotzdem wache ich vitalisiert auf. Es ist zwar sau kalt aber ich gehe erstmal in der Nordsee baden. Nick ist leider schon los. Zum Glück gibt's WhatsApp.


Tag 22 - 23 - Lächerlich schönes Brügge


Throwback zum 21. Juni: Ich sitze mit Duff und Flow am Strand von Schouwen. Nick und ich freuen uns wie zwei 14 jährige über unsere Lagerfeuer Skills. Darauf zubereitet, schmeckt die Pilzsuppe gleich doppelt so gut.
Nick erzählt von seinem selbstgebauten Tiny House am Rand von Brügge. In dem funktioniert alles in Kreisläufen. Die Materialien sind recycled, Regenwasser wird aufbereitet und selbst den Kompost für sein Gemüsebeet produziert er selbst. Für viele mag das befremdlich klingen. Für mich logisch.
Abfall darf es in unser Gesellschaft nicht mehr geben. Denn auch wenn wir das Energieproblem lösen werden, gehen uns irgendwann die Materialien aus.
So wie der Sand am Meer. 

Sprung ins Jetzt: Ich sitze ca. 120 Radkilometer weiter im Astridpark.
Der Weg hierher führte mich durch Dünen, Wälder, Städte und Felder. Über Flüsse, Inseln, Grenzen und Meere. Vorbei an Leuchttürmen, Häfen, Stränden und Monumenten. Und entlang von Deichen und Deichen und Deichen. Mit Schafen und Schafen und Schafen. Doch jetzt bin ich hier. Etwa die Hälfte des Weges nach Le Mont Saint Michel habe ich geschafft. Ob ich wirklich dort ankommen werde, weiß ich noch nicht. Woher auch? Alles mögliche kann passieren auf dem Weg. Dank der Menschen, die ich treffe. Menschen wie Jakob, Ina, Baaf, Anna, Johann, Nick oder Ferradh - die meine Reise so sehr bereichern. Und mir viel Stoff zum Nachdenken geben.

Inspiration eben, zum drüber grübeln, während ich mich in Sonnenuntergängen verliere.
Aber nicht nur Menschen sind dazu in der Lage.
Auch diese Bank in Brügge. In dieser wunderschönen Stadt. Geprägt von uralten Gemäuern und geschwärzten Holzfassaden. In der alles von aus Granit gehauenen Brücken verbunden wird, die sich über all die kleinen Kanäle spannen. Steht eine riesige kreisrunde Bank voller Stacheln. Ist das Kunst oder Corona-Maßnahme... Ich frage Passanten und niemand weiß es.
Manche Mysterien sollen halt nicht gelüftet werden.
Wobei ich natürlich die Stadtverwaltung anrufen könnte, wenn ich wollte.
Dann würde ich die auch fragen, wieso an der Grenze zwischen den Niederlanden und Belgien kein Schild steht. Das
geht doch nicht... Kein Schild... an einer internationalen Grenze...

 


Tag 24 & 25 - Plötzlich im Podcast


Irgendwas zog mich nach Brügge. Zum einen wohl die mahnenden Worte eines alten Freundes, dass man ich mir solch Kulturgüter nicht entgehen lassen kann. Zum anderen mein Treffen mit Nick. Aber hauptsächlich ein Gefühl. Ein ähnliches Gefühl, das mich in Friesland nach 't Ailand ins Café der anarchischen Fischer zog. Intuition halt.

Erstmal angekommen will ich bloß einen Kaffee. Drei Stunden und einige Cappucini später frage ich die Besitzerin nach einem gemütlichen Fleckchen. Sie überlegt kurz, fragt ihre Mutter und schickt mich in den Astridpark.
Hier laufe ich das erste Mal an der Villa Bota vorbei. Alternatives Jungvolk sitzt davor und trinkt Bier. Links-grün-versifft möchte ich meinen. Alles in allem ein guter Vibe. Hier schau ich nochmal rein.

Aber erstmal geht's zu Gimmy, meinem Couchsurfing Host. Er lässt mich rein, zeigt mir alles, muss aber direkt zum Tennis. Das erste Turnier seit Ewigkeiten steht an. Insgesamt sehe ich nicht viel von meinem Gastgeber. Dafür kann ich durch die Stadt schlendern, die so hervorragend dazu einlädt. Schließlich lande ich auf dem Marktplatz. Neben einem riesigen Schild sitzt Wouter - darauf prangt "what do you do to fight climate change?" Ich frage, ob ich mit ihm protestieren kann. Wir sprechen über alles mögliche. Aber wie es so ist mit uns Grünlingen bestätigen wir uns überwiegend gegenseitig.
Nach einer Stunde ziehe ich weiter.

Ohne es zu wissen tragen mich meine Beine wieder zur Villa Bota. Davor sitzt Neil mit einigen Jungs auf den Stufen. Er hat bunte Haare, bemalte Hosen und nen Schnurrbart. Ich quatsche ihn an. "Wir sind ne freie Radiostation für kreative Jugendliche"... Sieht man, denke ich und setze mich. Wir reden ein bisschen.
Als ich gehe, bin ich auf einen Kaffee am nächsten Morgen eingeladen. Perfekt - Kaffee und dann geht's weiter mit der Tour.

Aus dem Kaffee wird ein Frühstück. Ich spiele einige Lieder im Radio. Bin Teil eines spontanen Podcasts mit dem Namen "Anything can happen". Auf einmal ist es 15 Uhr und ich bleibe noch eine Nacht in Brügge. Diesmal bei Neil.
Kreative Orte wie dieser erlauben sowas. Und Menschen, die sich an solchen Orten rumtreiben.


Tag 26 - 27 - Übern Strand nach Frankreich


Eigentlich wollte ich Vorgestern in Brügge aufbrechen... Eigentlich.
Doch Neil und die anderen Chaoten der Villa Bota habens mir angetan. So sehr, dass ich noch zwei Nächte auf Neil's Couch schlafe.
Doch was fasziniert mich so sehr an diesen Verrückten? Genau das... Das verrückt sein und anders sein. Das sich trauen seine eigenen Träume zu leben. Und sich nicht in dieses blinde Korsett aus Konsum, Arbeit und Angst zwängen zu lassen. Angst nicht dazuzugehören. Und Angst anders zu sein. Wenn man mich fragt sollten wir alles was anders ist viel mehr zelebrieren. Nur wenn Menschen sich weiter trauen, vom Mainstream abzuweichen, bleibt die Welt bunt.
Und zwar richtig bunt. Nicht nur gepunktete Socken unter Lackschuhen und Anzugshose bunt.
In eine so farbenfrohe und vielseitige Welt eingeladen zu werden, ist etwas Besonderes. Deswegen habe ich es auch noch etwas länger genossen.
Zum Glück habe ich solche Momente mit eingeplant.

Nach zwei Tagen Radio moderieren, abwechselnd Kaffee und Bier trinken, Schach spielen, Musik machen und viel reden setze ich mich dann doch wieder auf mein Rad. Heute morgen um genau zu sein.
Inzwischen habe ich auch einen Titel in Brügge.
"The German Biker"
Dem werde ich dann mal wieder gerecht. Am Ende des Tages werde ich 100 km gefahren sein.
Erst beschwingt und leichtgängig entlang belgischer Kanäle. Der französischen Grenze fliege ich praktisch entgegen. Das letzte Stück ist dann aber sehr langsam. Plötzlich endet der Radweg im Strand. Zurückfahren will ich nicht, also schiebe ich mein Rad durch den Sand. Und dann ist es endlich so weit. Ich bin in Frankreich.
Unfassbar! Zeitweise war ich mir nicht sicher, ob ich es wirklich so weit schaffen würde.
Ungläubig sitze ich eine Stunde da.
Irgendwann merke ich, dass die Flut schon ziemlich weit vorgedrungen ist. Also schiebe ich schnell weiter bis ich wieder an eine Promenade komme. Das erste was ich feststellen muss, ist das niemand - wirklich niemand - Englisch spricht. Nichtmal die Frage, wo es Wasser gibt, kann man mir beantworten. Ich werd wohl Französisch lernen müssen.
Danach fahre ich an einigen hervorragenden Campingplätzen vorbei. Dann durch runtergekommene Vororte und stinkende Industriegebiete. Als ich wieder in den Dünen ankomme, fängt es in Strömen zu regnen an. Ich warte das schlimmste unter dem Vordach eines Bunkers ab. Und kann endlich mein Zelt aufbauen. Fix und Fertig.


Tag 28 & 29 - Lange Tage im Gemüsebeet


Als ich gestern aufwache, regnet es. Ich gucke auf den Wetterbericht - 10 Tage Regen.
Geil... Genau so hab ich mir das vorgestellt. Ich meine mal muss man mit 1 bis 2 Tagen Schietwetter rechnen. Hab ich auch... Ganz ehrlich. Aber 10 Tage am Stück? Nach 10 Tagen nasskaltem Grau?
Vielleicht hab ich mir auch ne dumme Strecke ausgedacht. Nordseeküste und Ärmelkanal. Hier regnets doch immer... Naja, nächstes mal dann Mittelmeer (Notiz aus dem Sommer 2022 - damals hatte ich noch keine Ahnung, wohin meine nächste Reise gehen würde. Mittelmeer hat geklappt!)

Das ganze Nass verdirbt mir auf jedenfall die Laune weiterzufahren. Also bleibe ich erstmal im Zelt liegen und lese. Irgendwann schreibe ich ein paar Bauern an, ob ich bei ihnen gegen Kost und Logis arbeiten kann.
Ich lese weiter.
Eine Weile später lege ich das Buch zur Seite... Alle meine Lieblingscharaktere sind gerade gestorben. Danke dafür Andrzej Sapkowski.
Mein Handy blinkt. Julien schreibt ich kann vorbeikommen. Nur 30 km entfernt baut er Gemüse auf eine Microfarm an und probiert sich an Permakultur und Agroforstwirtschaft. Genau was mich interessiert!

Die kurze Fahrt führt mich das erste Mal durch hügeliges Terrain. Moin Frankreich.
Juliens Gewächshäuser sehe ich schon von Weitem. Nur kein Wohnhaus... Komisch.
10 Minuten später stehe ich im Esszimmer. Zwischen zwei Wohnwagen, einem Plumpsklo und einem offenen Bungalow.
Julien kommt gerade aus letzterem. Roter Rauschebart, Blaumann und Gummistiefel.
Er zeigt mir kurz alles und fragt, ob ich gleich beim Lauch helfen kann - klar.
Junge Pflanzen separieren, Wurzel und Blätter trimmen, zum Feld, Löcher stechen, Lauch einpflanzen. 300 qm später sind wir fertig. Es ist 22 Uhr.

Heute ist nicht anders. Von 10 bis 10 arbeiten wir. Morgen werden die Gemüsekisten an seine Abonnenten ausgeliefert und es ist noch nichts vorbereitet.
Also erstmal ernten: Salate, Zwiebeln, Knoblauch, Dill, Mangold, Schalotten, Koriander und Karotten.
Dann putzen, sortieren bündeln und packen.
Es gibt viel zu tun. Zwischendurch machen wir Crêpes mit frischen Erdbeeren aus dem Beet. Die Qualität von Obst und Gemüse ist wirklich unfassbar gut. Alles schmeckt, wie es im Cartoon aussieht. Herrlich!

Morgen hab ich frei.
Geregnet hats übrigens nicht.


Tag 30 - 31 - Nach Regen kommt Sonne


Wegen der langen Tage zuvor sollte ich gestern frei haben. Gegen 10 taumele ich ausgeschlafen aus meinem Wohnwagen. Beim entspannten Frühstück sehe ich, was Julien noch alles zu tun hat.
Als er fragt, ob ich die Gemüsetaschen packen kann, sage ich wie selbstverständlich ja - Das Nein war noch nie so meine Stärke... Jedenfalls nicht bei sowas. Und zu tun habe ich eh nichts - besonders viel kann man in der Gegend nicht machen... Außer Gemüse anbauen halt.

Eineinhalb Stunden später, sitzen wir im Auto auf dem Weg nach Lille. Ich fahre...
Das erste Mal seit einem Monat bewege ich mich mit mehr als 40 km/h vorwärts. Kurz darauf haben wir die 90 km schon hinter uns und ich schlendere durch die Stadt.
Nicht grad schön, um ehrlich zu sein.
Sehr grau und unentspannt. Zwei Dinge die ich nicht mag, nicht nur beim Wetter.

Am Abend sind wir zum Essen verabredet. Ich bin schon früher im Restaurant und es kommt noch ein Freund von Julien dazu. Seinen Namen hab ich leider vergessen. Aber er macht seinen Doktor in Mathe. Professor werden will er allerdings nicht. Sondern Mikrofarmer.
Wir reden über unser wissenschaftliches Verständnis, Konzepte von Gut und Böse, Geschichte, Steuern und Waffen. Bei fast allem sind wir anderer Meinung. Doch auch solche Unterhaltungen sind wichtig - gerade solche. Nur sollte man nicht versuchen, den anderen überzeugen zu wollen. Das geht immer nach hinten los.
Nach all dem Gerede ist es 1 als wir auf der Farm ankommen. Schlafen kann ich trotzdem nicht. Mein Kopf dreht Kreise.

Heute schlafe ich also wieder einmal aus. Gegen 12 komme ich endlich los und fahre durch das idyllische Pas de Calais. Kleine Felder säumen die Hügel und schmale Straßen schlängeln sich zwischen ihnen hindurch. Überall sehe ich Waldfleckchen. Die Google Navigation führt mich immer wieder munter durch genau diese Wäldchen. Nur gibt es darin keine Straßen...
Helge, mein Fahrrad, genauer gesagt Papas Fahrrad, scheint mir das übel zu nehmen. Erst muckt die Gangschaltung, dann bricht der Ständer.
Einer kleiner Wutanfall folgt. Aber verfliegt auch wieder.
Am Strand komme ich trotzdem an. Zirka 75 km habe ich geschafft.
105 weniger als gestern mit dem Auto.
Verrückt!

 


Tag 32 - Ist mir durchgerutscht.

 

Tag 33 Der Schlaf will nicht kommen, der Regen nicht gehen


Nach der 5. Nacht ohne vernünftigen Schlaf hab ich die Nase voll. Vor allem, wenn ich auf den Wetterbericht gucke...
Eigentlich dachte ich ja, ich würde den ganzen Tag einfach an meinem Steinstrand bleiben. Wie ich den gestern Abend noch genossen hab... Die sonnenbeschienenen Kiesel schmiegen sich förmlich an meinen Rücken. So trocken. So warm. Herrlich!
Aber mit ununterbrochenem Regen als Aussicht, packe ich doch lieber schnell mein Zelt zusammen. Bevor es noch nass wird, auch ohne Frühstück. Gibt bestimmt was im Ort um die Ecke.
Oder auch nicht - nur zwei Restaurants ohne Frühstück. Also muss die Bushaltestelle herhalten.

Beim Essen schreibe ich Norbert. Der saniert ein uraltes Bauernhaus mit riesigem Garten. Das schreit nach Helfern. Kurz darauf hab ich schon die Zusage, dass ich vorbeikommen kann. Perfekt - nur die 80 km dahin werd ich heute besonders merken.

Ne halbe Stunde später kurve ich über den Deich (der in Frankreich nichtmal halb so hoch ist wie in Holland) und mir fallen fast die Augen aus dem Kopf. Vor mir klaffen riesige Kreidefelsen empor.
Schon lustig, wenn man sich nicht über seine Route informiert und von sowas überrascht wird.
Der Anblick motiviert mich enorm - bis ich merke, dass ich die entsprechenden Höhenmeter auch strampeln muss.
Danach geht's nurnoch hmpffff - huiiiii - hmpffff - huiiiii - hmpffff - huiiiii - naja und so weiter.

Nach 30 km auf und ab komme ich in Le Tréport an. Muss man nicht kennen aber ich freue mich sehr. Das ist das Fischerstädtchen, von dem mir Daniel erzählt hat - ein alter Angler, den ich so vor 4 Wochen in Niedersachsen traf.
Zur Feier dieses Meilensteins gönne ich mir nen Crêpe. Hunger auf Daniels Empfehlung, Fischsuppe, hab ich da noch nicht.

Dafür aber 30 km später in Dieppe. Ich frage einen weißhaarigen Garagenkünstler nach "le soup de la poisson tres bien".
Seine Empfehlungen haben schon zu... Um 15 Uhr - komisch. Also irgendwohin. Hauptsache Suppe. Die vertreibt die Kälte des Regens.
Die Pommes am Nachbartisch sehen hervorragend aus. Man gönnt sich ja sonst nicht.

20 km weiter bin ich bei Norbert. Tee und Dusche - dann falle ich ins Bett.


Tag 34 - In Garten Eden


Letzte Nacht wache ich drei mal auf. Drei Mal freue ich mich darüber, denn aufwachen heißt, dass ich vorher geschlafen habe. Schlaf den ich dringend brauchte. Inzwischen bin ich mir fast sicher, dass mich meine aktuelle dreifache Unsicherheit im Zelt wach hält. Zum einen der große Punkt meines weiteren Werdegangs. Zum anderen das Wildcampen und ein nur halbdichtes Zelt.
Alles zusammen ist einfach eine unterbewusste Sorge zu viel.

Also umso besser, dass ich jetzt hier bin.
Hier, wo ich ausschlafen kann, weil es keine Uhrzeit gibt, zu der die Arbeit beginnt. Ein Hof ohne Zeit.
Hier, wo endlos viel gutes Essen auf dem Tisch steht, weil ständig ein neuer Kuchen im Ofen duftet und ein weiterer Topf auf dem Herd blubbert.
Hier in diesem Garten, in dem zahllose Vögel zwitschern, Grillen zirpen, Frösche quaken und alles nur so vor Leben sprießt.

Fühlt sich fast zu paradiesisch an, um wahr zu sein.

Norbert sieht das etwas anders. Auf mein Kompliment zum schönen Garten meint er nur "stinks of petrol" - zum Glück nur metaphorisch.
Ihn stören all die Maschinen, die er benutzen muss, um den Garten in Schuss zu halten. Wwoofing-Host ist er, um den Leuten begreiflich zu machen, wie wenig wir mit unseren eigenen Händen schaffen. Dass wir für praktisch alles, was wir als Gesellschaft erreichen, "Oil-slaves" brauchen. Und dass die meisten Menschen sich der Reichweite dieser "Sklavenarbeit" immernoch nicht bewusst sind. Klimawandel halt.
Für mich natürlich nichts neues. Aber seine Perspektive ist äußerst interessant.
Und auch sonst kann ich einiges von ihm lernen. So als Bio-Lehrer, self-made Baumeister und Subsistenz-Gärtner.
Immer wieder spannend, wen ich so treffe.

 


 Tag 35 & 36 Die Clos-Masures


Die Clos-Masures ist die traditionelle Form eines Hofes der Normandie, genauer gesagt des "Land der Kreide".
Norbert erklärt gerne daher weiß ich, dass sie klassischerweise einen großen Teich aufweist, von einem buchenbewachsenen Wall umgeben ist, 200 x 200 Meter misst und im Inneren von vielen Hecken, Apfelbäumen und Gemüsebeeten dominiert wird. Die schmalen Häuser stehen am Südende.

All das hat seinen Grund.
Der Teich dient als Wasserspeicher, da der Grundwasserspiegel trotz hohem Niederschlag sehr tief liegt.
Die Buchen dienen als Windschutz und bedingen die Größe des Grundstückes - mehr als 200 Meter hinter den Bäumen kann der Wind nicht gemildert werden.
Die Hecken hielten das Vieh außerhalb der Beete und trennten die einzelnen Weiden, während die Apfelbäume nötig waren, um das Wasser aus dem Teich zu trinkbarem Cyder zu verarbeiten.
Die Häuser im Süden schließen das Grundstück ab, ohne zu viel Licht zu nehmen.

All diese Zusammenhänge ergaben sich schon vor Jahrhunderten, da die Menschen die Bedingungen erkannten, die ihre Umwelt an sie stellte und ihr Leben danach ausrichteten. Aus ihrem direkten Naturbezug ergab sich ein ganzheitlich gedachtes System, das einen Lebensunterhalt ermöglichte und ganz natürlich Krisensituationen abpufferte.

Heißt das, dass wir ewig gestrig denken sollten und uns zurück zur Subsistenzwirtschaft orientieren? Keinesfalls.

Davon lernen, ein praktisches Verständnis der Umwelt aufzubauen und daraus ein holistisches System zu entwickeln, müssen wir allemal.

Und ich denke ein bisschen Rückbesinnung zur Natur schadet da nicht.

Wenn man mal in Pferdescheiße gewühlt hat, um Kürbisse einzupflanzen, merkt man recht schnell, dass das auch nur Nahrung für tausende von Organismen ist. Insekten, Würmer, Bakterien und Fungi, die den Boden erst nahrhaft machen, ihn durchmischen und das Wachstum von Pflanzen ermöglichen. Pflanzen, die wiederum von Pferden gefressen werden.
In der Natur ist alles im Kreislauf. Es gibt keinen Abfall, nichts unbrauchbares.

Das Konzept des Mülls ist eine Erfindung des modernen Menschen.
Und hier muss ich doch ewig gestrig sein...
Denn ohne Müll, ist alles besser.


Tag 37 & 38 - Mein Leben auf der Cos-Masures


Ehrlich gesagt passiert aktuell nichts besonders aufregendes. Trotzdem mag ich meinen Tagesablauf hier sehr. Seht selbst warum...

10:00 Uhr - Ich wache auf. Einfach weil meine innere Uhr mich weckt. Nicht weil es ne feste Arbeitszeit geben würde.

10:30 Uhr - Mit meiner roten Tasse voll britischen Breakfast Tea - natürlich mit Milch und Zucker - bin ich gewappnet in den Tag zu starten. Der Spaziergang durch den Garten rundet das ganze ab. Und während ich richtig wach werde, zwitschern die zahllosen Vogelarten munter seit 6 Stunden ihre Lieder.

11:00 Uhr - Erstmal Frühstücken. Es gibt Baguette mit selbstgemachter Marmelade. Johannesbeer, Pflaume, Erdbeer, Quitte, Rababer... Letztere mag ich am liebsten.
Dazu, na klar, eine Tasse Tee.

12:00 Uhr - Zuverlässigerweise finde ich Norbert im letzten Zimmer des unfertigen Bauernhauses. Der ist ähnlich lange wach, wie die Vögel. Ich helfe eine Weile bei der Restauration - Holzbau ist eh meine Lieblingsart des DIY.

13:00 Uhr - Teepause

13:30 Uhr - Essen ist fertig und schmeckt wunderbar! Wie immer, fehlt mir aber etwas Salz. Während wir essen, erklärt Norbert, wie Mutterboden entsteht und welche organischen Materialien für welche Bewohner des Bodens als Nahrung dienen.
Er ist halt Bio-Lehrer aus Leidenschaft.

14:00 Uhr - Heute gibt's Kirschkuchen zum Nachtisch. Dazu, wie könnte es anders sein, eine Tasse Tee.

15:00 Uhr - Wie immer ist irgendwas reif, geerntet zu werden. Gerade sind es Johannesbeeren.

16:00 Uhr - Der Eimer ist zwar nicht voll, reicht aber um eine Fuhre Marmelade draus zu kochen. Außerdem ruft der Tee.

17:00 Uhr - Ein paar Rote Beete müssen umgeplanzt werden. Nebenbei ernten wir Rababer und beobachten diverse Ameisenvölker beim Umzug. Wenn ein Spaten in dein Kinderzimmer sticht, suchst du dir doch lieber eine neue Bleibe.

18:30 Uhr - Mit einem weiteren Tee setze ich mich an meinen Lieblingsplatz - Den kleinen Teich hinter der Küche. Dort lasse ich den Tag über meinem Reisetagebuch Revue passieren.

20:00 Uhr - Die Vorbereitungen für das Abendessen beginnen. Währenddessen kommen zwei neue Kuchen in den Ofen.

24:00 Uhr - Jetzt aber gute Nacht.


 Tag 39 Sonnenschein und Lunchpakete


Ein letzter herrlicher Abend auf der Cos-Masures und die Zeit in meinem leicht überromantisierten Garten Eden geht zu Ende.

Schweren Herzens packe ich heute morgen meine Sachen und bereite mich auf den letzten Streckenabschnitt vor.
400 km, dann bin ich da, bei le Mont Saint Michel... Schlussendlich hab ich mich nämlich doch für die Küstenroute entschieden.
Und während ich mir schon den Weg ausmale, kommt Norbert in die Küche. Ohne Fresspaket lässt er mich nicht los. Es gibt einen halben Schokokuchen, Baguette, Rababermarmelade, Kekse, einen großen Salat und nebenbei kocht er Reis und Linsen.
Das reicht ein paar Tage, denke ich.

Ein letzter Blick auf das historische Bauernhaus, dann fahre ich los. Direkt werde ich auf einen furchtbaren Feldweg geleitet... Klasse.
Danach wirds angenehmer und die Kilometer fliegen dahin. Jedenfalls, solange ich nicht bergauf fahren muss.
Nach 35 km bin ich zurück auf dem "Velo Maritime" und mich überkommt ein ungeheures Glücksgefühl. Bei dem Wetter auch kein Wunder.

Kurz darauf verbringe ich meine Mittagspause unter atemberaubenden Kreidefelsen. Den Schokokuchen in der Hand, scheint mir die Sonne auf den Bauch. Himmlisch.

Dann peile ich meinen Schlafplatz an. Mit Google ausgewählt, eignet er sich zwar super und liegt ganz einsam in den Felsen, irgendwie fühlts sich aber zu geplant an. Außerdem gibt's da kein Netz. Für professionelle Blogger wie mich, natürlich ein No-Go!

20 Minuten später, falle ich das erste mal auf diesem Trip auf die Fresse. Man könnte sagen verdientermaßen, wenn man ständig freihändig fahrend am Handy zugange ist... Naja, zum Glück trag ich Helm! Und das nervige Quietschen ist danach irgendwie auch weg. Glück gehabt.

Dann sehe ich meinen heutigen Schlafplatz. Neben Blick aufs Meer und über die Klippen bietet er sogar einen alten Bunker als Zufluchtsort. Perfekt, denn heute Nacht solls regnen. So richtig...

Als ich den Ausblick genieße, höre ich ein deutsches Paar neben mir. Der Ortsname Schwarzenbek fällt. Immer das gleiche... Da fährt man 1500km Rad und trifft Michaela und Volker von um die Ecke.


Tag 40 - Der wahrscheinlich beste Zeltplatz der Welt


Der gestrige Abend hat den Tag noch richtig abgerundet. Und meine Entscheidung noch etwas weiter zu fahren bestätigt.
Bevor ich mich zum Schlafen in meinen Bunker lege, laden Michaela und Volker mich noch auf Cidre und Calvados ein. Was für eine schöne Abwechslung so ein Abend mit Holsteinern ist. So leicht und ohne Sprachbarriere... Sie erinnern mich an zu Hause und ich sie an ihre Söhne.
Gelegentlich ist auch auf Reisen etwas Vertrautheit sehr willkommen.

Heute strampel ich mich den Großteil der Strecke im Regen ab. Ich besichtige das Loch in den Felsen in Etretat und denke an Neuseeland. Irgendwie war das wie ein Miniaturwunderland von Europa. Aber das ist ne andere Geschichte...

Als ich weiter nach Le Havre, mit stummen H, fahre, merke ich den Calvados in den Beinen. Und die 70 Kilometer von Gestern. Trotzdem bin ich bald da und finde endlich einen Fahrradladen - Helge hat nun wieder einen Ständer. Finds immernoch witzig.
Neben des Zubehörs, dass das Freistehen meines Fahrrads ermöglicht, finde ich dort auch einen übersympathischen Fahrradschrauber. Irgendwie sind die überdurchschnittlich oft überdurchschnittlich gut drauf... Jedenfalls scheint er meinen Trip cool zu finden und empfiehlt mir auf mein Fragen ein super Café, schenkt mir zwei Bier und zeigt mir einen Strand, an dem ich problemlos campieren kann.
Also fahre ich noch 30 km bis Pennedepie, dann hab ich den heutigen Tag geschafft.
Auf dem Weg dahin treffe ich noch auf meinen heutigen Endgegner: Die Pont de Normandie ist eine knapp 900 Meter lange und 52 Meter hohe Schrägseilbrücke, die mir die Milchsäure in jede Muskelfaser schießen lässt.
Auf der anderen Seite der Seine werde ich dafür mit einem perfekten Campingplatz belohnt. Neben dem Strand, der Einsamkeit und der Aussicht, plätschert als I-Tüpfelchen einer kleiner Bach an meinem Zelt vorbei.
Wenn ihr nicht wisst wieso das cool ist, geht mal im Meer baden, statt nach einem schweißtreibenden Tag zu duschen.


 Tag 41 & 42 So viele Geschenke


Als ich an meinem Traumstrand einschlafe, kann ich mein Glück über diesen Zeltplatz immernoch nicht fassen.
Am nächsten Morgen möchte ich etwas zurückgeben.
Nur wie? Müllsammeln erscheint mir logisch und nötig. Nach 45 Minuten ist der Sack voll.
Kein Wunder bei 4 Millionen Tonnen Plastikmüll, die jährlich über Flüsse ins Meer gelangen. So wohl auch an der Mündung der Seine.
Wieviel von dem Sack wohl aus Paris stammt?

Irgendwann schaffe ich es dann doch den Strand zu verlassen. Kurz darauf verketten sich beim Einkaufen die Zufälle und am Ende bekomme ich wegen einer losen Schraube eine Calzone geschenkt.
Wer hätte da gedacht, dass es nicht die letzte geschenkte Pizza des Tages sein würde?
Davon später mehr.
Nach der Pause treffe ich nämlich José und Miguel. Die beiden sind auch auf dem Fahrrad unterwegs und rocken am Wochenende mal eben 300 km. Die Gruppentour ist eine angenehme Abwechslung und führt bis Caen. Dann geht's für die beiden zurück nach Paris - die Arbeit ruft.
Mal wieder denke ich, dass ich echt Glück habe, mir einfach so einen Sommer freinehmen zu können...
Viel weiter komme ich an dem Tag nicht mehr. Beim Juno Beach frage ich einen Zirkus, ob ich in Ihrem Zelt schlafen kann - Leider nein.
Dafür führt der Verlust einer weiteren von Helges Schrauben zur Begegnung mit François und Timo. Vater und Sohn sind im historischen Kurzurlaub und auch genervt vom Wetter. Als ich erwähne, dass ich noch keinen Schlafplatz habe, werde ich kurzerhand auf eine Nacht im AirBnB eingeladen. Perfekt!
Allerdings denke ich auch direkt, dass François Vibe ein bisschen komisch ist. Da er mit seinem Sohn reist, mache ich mir aber keine ernsten Sorgen.
Später, bei meiner zweiten Pizza, finde ich raus, was es ist. François redet vom Glitzern in den Augen von Weltenbummler wie mir. Seine Augen sehen ausgeglitzert aus. Fast schon ausgebrannt...
Und während der Himmel dunkler wird, werden es auch unsere Gesprächsthemen. Bald schon, muss ich Demokratie, Toleranz und Völkerverständigung verteidigen - verbal versteht sich. Doch wie geht man damit um, wenn der großzügige Gastgeber ganz andere Werte vertritt?


Tag 43 - Das hat doch nichts mehr mit Glück zu tun


Als ich gestern Abend fachmännisch die Plane über mein Zelt spanne, frage ich mich noch, ob sich der Aufwand wohl lohnt. Sorglose Träume trotz sintflutartigen Regens sprechen eine klare Sprache.
Als ich ausgeschlafen und entspannt aufwache, scheint die Sonne. Trotz der erholsamen Nacht merke ich inzwischen jeden Muskel in meinem Körper... Was könnte es da besseres geben als Morgenyoga? Es hilft auf jedenfall, aber um ehrlich zu sein, nervt es mich auch immer ein bisschen, wie ungelenkig ich direkt nach dem Aufstehen bin.

Eine Portion Porridge später, sitze ich wieder auf dem Fahrrad. Und während ich so durch blau-betupfte Flachsfelder fahre, denke ich noch "Heute fühlt sich nach nem ereignislosen Tag an".
Tja... Falsch gedacht.

Weil Helge in den vergangenen Tagen zwei mal die gleiche Schraube verloren hat, suche ich nach einem Fahrradladen. Der in Carentan hat zu. Also überquere ich erstmal die Halbinsel und peile 20 km später den nächsten in La Haye an. Natürlich nicht ohne mir vorher einen Kaffee, ein Eclair, eine Rosinenschnecke und ein Stück Flan zum Mittag zu gönnen.
Der Fahrradschrauber versteht mein Problem nur so halb und holt letztendlich den Chef. Als Emerson aus dem Laden kommt und Helge mit meinem Gepäck sieht, muss er grinsen. Während er seinem Kollegen erklärt, was ich will, fragt er beiläufig, wo mein Ziel liegt - Le Mont Saint Michel.
"Und wo kommst du her?" - Hamburg, Germany. Er staunt nicht schlecht... Und lädt mich prompt ein, bei ihm im Garten zu campieren.
Erst hadere ich kurz. Eigentlich wollte ich doch noch weiterfahren... Dann zeigt er mir wo er wohnt. Am Strand - exakt auf meiner Route - 20 km weiter. Besser gehts nicht! Völlig begeistert sage ich zu. Als ich weiterfahre meint er noch "Halt nach dem Boot Ausschau"... Was für n Boot frage ich mich?
Ne Weile später seh ichs dann im Garten stehen. Es ist zum Gästezimmer umgebaut und mein heutiger Schlafplatz... Träum ich?
Bis Emerson nach Hause kommt dauerts noch ein bisschen. Die Zeit genieße ich am Strand um die Ecke.
Und am Ende der Bucht, in etwa 80 km Entfernung liegt le Mont Saint Michel.
Gefühlt kann ichs schon sehen.


 Tag 44 Sprachlos in Sichtweite


Inzwischen sitze ich seit zwei Stunden am Strand. Im Sand, den ich mir immer wieder durch die Finger rinnen lasse. Alle paar Minuten schaue ich auf, nach schräg links, und vergewissere mich, dass er noch da ist.
Der Fels, auf der anderen Seite der Bucht.
Der Fels, mit der Kirche drauf.
Le Mont Saint Michel

Ich kann garnicht fassen, dass ich ihn jetzt sehen kann.. . Knapp 1.200 km von zu Hause entfernt und noch wesentlich weiter wenn man der Küste folgt.

Beim ersten Anblick bekam ich das Grinsen garnicht aus dem Gesicht. Als die Freude nachlies, kam die Ungläubigkeit und dann Überwältigung. Sogar ein paar Tränen hab ich verdrückt.
Es ist wirklich unbeschreiblich, so lange auf ein Ziel zuzufahren und es dann so nah vor sich zu haben. 9 km Luftlinie um genau zu sein.

Und während ich diese Zeilen tippe pustet mir der Wind, fast kann man die Böen schon Sturm nennen, reichlich Sand um die Ohren. Sand am Meer halt.
Genauso verwirbelt geht's grad auch in meinem Kopf zu... Wahrscheinlich merkt man's.
Ich werde wohl noch eine Weile brauchen, bis ich verstanden habe, dass ich tatsächlich so gut wie angekommen bin. Angekommen am Ziel meiner Reise.
Und ein Stück weit bei mir.

Ohne Emersons Einladung hätte ich einen Teil dieser Aufregung wohl schon gestern verspürt. Doch der Abend mit seiner Familie war die ideale Ablenkung von all dem. Der perfekte Einstieg in das allerletzte Bisschen meiner Fahrt...
Bei wunderbarem Essen, spannenden Gesprächen und dem ein oder anderen Bier, konnte ich die Aufregung so kurz vor dem Ziel zu sein komplett vergessen. Und die traumhaft erholsame Nacht im Boot hat mir die heutige Etappe sehr erleichtert.


Tag 45 - Ich bin da... Ich Glückspilz


Was für ein Tag! Wo fang ich an?

Beim Aufstehen. Da merke ich schon, dass heute ein besonderer Tag ist. Trotz aller Vorbereitung fühle ich mich noch nicht bereit anzukommen. Also was tun?
Antoine, ein Radwanderer, den ich vor ein paar Tagen getroffen hab, hat doch was von nem Flugplatz erzählt... Und der liegt fast direkt auf dem Weg! Ich fahr einfach mal hin...

Als ich ankomme ist es menschenleer.
Bis doch jemand aus dem Hangar kommt. Ein Fluglehrer, der auf meine Frage, ob und wie ich nen Rundflug machen kann, nur aufs Brett zeigt.
100€ für 20 Minuten steht da. Irgendwie auch dumm... Da fahre ich auch aus Nachhaltigkeitsgründen Rad, um dann nen reinen Spaßflug nur für mich allein zu machen? Geht das nicht anders?
Schon... Aber ist auch ne komische Frage. Trotzdem suche ich nochmal nach dem Fluglehrer und stelle sie ihm.
"Kann ich nicht einfach bei dir mitfliegen?"
Erst weiß er nicht so recht, aber als ich ihm mehr von meiner Reise und meinem Ziel erzähle, sagt er, dass ich mit etwas Glück bei einem der Piloten mitfliegen kann, die am Nachmittag starten.

Etwas Glück... Meistens hab ich viel. Sollte also reichen.

Und das tuts auch! Solange und Daniel willigen ein. Kurz darauf sitz ich schon in der Dauphin 2+2 auf dem Weg nach Lessay.
Ich kanns kaum glauben! Wir fliegen die Küste entlang, die ich die letzten Tage gen Süden geradelt bin. Über meinen Schlafplatz von letzter Nacht, Granville und Emersons Haus. Nur dass wir für Hin- und Rückweg 2 Stunden brauchen, statt 2 Tage für eine Strecke.
Bevor wir landen dreht Daniel noch eine Runde um Le Mont Saint Michel.
Als hätte der Blick vorher nicht gereicht...
Jetzt fühl ich mich bereit anzukommen.
Und nachdem ich den beiden ein Bier spendiere, fliegen die letzten 23 km unter mir hinweg.
Die letzten 45 Minuten hab ich ein Dauergrinsen im Gesicht. Fast schon manisch... So dass meine Backen brennen. Aber es geht halt nicht anders, wenn Le Mont vor meinen Augen immer größer wird.
Und dann bin ich da.
Nach 45 Tagen.
Erst dachte ich viel zu viel Zeit. Dann zu wenig.
Doch jetzt weiß ichs...
Es war genau richtig.
Ein bisschen wie Gandalf^^

Man bin ich glücklich!


Und dort, auf der krönenden Spitze dieses wunderbaren Ortes, der die gesamte Bucht überblickt, genieße ich den Moment.

Die sich windenden Ausläufe von Sélune, Sée und Couesnon, die im Licht der untergehenden Sonne glitzern. 

So durchziehen sie la Baie mit goldenen Adern, während sich Sonne und Meer unaufhaltsam näher kommen.

Wie Yin und Yang laufen die Priele der Flut und die Flüsse im ewigen Gegenstrom.

Ewig, bis die gesamte Weite vom Meer überspült wird. Zumindest für einen Moment.

Diese endlose Weite, aus der sich ein einsamer Berg erhebt. Vor Millionen von Jahren aus Lava erstarrt, hat dieser Fels die Verwitterung eines Gebirges überdauert, dass größer als das Himalaya war. Ein Berg, von sich aus schon so einzigartig schön - und doch von Menschenhand die Krone aufgesetzt.

Dieses Kunstwerk aus Stein und Stein, in dem die Grenzen von Natur und Architektur zu verschwimmen scheinen, und nur ein ganzes bleibt.

 

Die Welt ist wunderbar.